»Was ist entscheidend für eine gute Praxisanleitung?«

„Eine Willkommenskultur, Kommunikation und das Signal, lernen zu dürfen“

Hinweis: Die hier veröffentlichten Antworten geben die Sichtweise der jeweiligen Absender wieder und nicht die fachliche oder juristische Position des Bundesministeriums für Gesundheit.

Frau Jakobs, welche Bedeutung hat die Praxisanleitung in der Pflegeausbildung?

Sowohl in fachlicher als auch beziehungstechnischer Hinsicht ist die Praxisanleitung sehr wichtig. Dabei spielen die Praxisanleiterinnen und -anleiter eine wichtige Rolle. Meines Erachtens greift der Begriff „Praxisanleitung“ sogar zu kurz. Praxisanleitung bedeutet für mich nicht nur in der Praxis anzuleiten, sondern das Vermitteln der Pflegekompetenz sowie der beruflichen Handlungskompetenz. Dies geschieht von Beginn an in direkter Interaktion mit Patientinnen und Patienten oder Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Auszubildenden erhalten durch die Praxisanleitung eine Einführung in die Abläufe der Institution und lernen, was es heißt, Verantwortung im Pflegeprozess zu übernehmen. 

  • Im Interview mit Anke Jakobs

    Anke Jakobs ist Verantwortliche für die praktische Ausbildung bei einem kommunalen Krankenhausbetreiber und Vorsitzende des Berliner Landesverbands des BLGS (Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe).

Wieso ist die Praxisanleitung für die Auszubildenden so wichtig?

Der vorherrschende Lernmodus in der Pflegepraxis ist das sogenannte Modelllernen. Das konnten Fichtmüller und Walter 2007 in einer qualitativen empirischen Studie darlegen. Zu großen Teilen lernen die Auszubildenden, indem sie Pflegende und ihre Handlungen sehr genau beobachten und sich daran orientieren. Man spricht auch oft vom „heimlichen Lehrplan in der Praxis“. Auszubildende sehen dabei auch, dass Pflegende bei ihren Tätigkeiten von den theoretischen Vorgaben abweichen. Wenn die Auszubildenden ihr theoretisch erlerntes Wissen als praxisfremd wahrnehmen oder Pflegende sich sogar entsprechend äußern, wenden sie es kaum noch an und rufen es nur dann ab, wenn die Lehrenden aus der Bildungseinrichtung zu Prüfungen in die Praxis kommen. Dann spielt Kommunikation eine entscheidende Rolle. Denn wenn die Pflegenden nicht offenlegen, warum sie sich in der Praxis abweichend verhalten, entsteht der sogenannte Theorie-Praxis-Konflikt. Deshalb ist es entscheidend, die Auszubildenden einzubeziehen und der Anleitung Raum zu geben. Die Erfahrungen der Auszubildenden in der Praxis und auch das Verhältnis zu den Pflegenden und der ernsthaften professionellen Umsetzung der Praxisanleitung prägen das Berufsverständnis und bestimmen die Qualität der pflegerischen Handlungen.

Welche Faktoren sind entscheidend, damit die Praxisanleitung erfolgreich verläuft?

Die Auszubildenden müssen spüren, dass sie lernen dürfen und nicht nur funktionieren müssen. Dabei ist eine Willkommenskultur wichtig. Auszubildende benötigen den Zugang zum Team. Ein weiterer Faktor ist Zeit: Die Auszubildenden benötigen Zeit zum Beobachten und Wahrnehmen, zum Üben, Nachfragen und Reflektieren, Zeit, um bestimmte Fehler zu revidieren. Damit das gelingt, braucht es professionelle Modelle in der Pflegepraxis und entsprechend geschulte Praxisanleiterinnen und –anleiter, die auch die Zeit haben, diesen Prozess zu initiieren und zu begleiten. Und schließlich ist die Grundlage für eine erfolgreiche Praxisanleitung Vertrauen. Nur wenn das gegeben ist, können sich Auszubildende fachlich in den Austausch begeben und reflektieren. Um Vertrauen aufzubauen, sind feste Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner und eine gute Lernatmosphäre entscheidend.

Wie kann die Praxisanleitung vor Ort gestärkt werden?

Hier fallen mir gleich mehrere Punkte ein:

  • Durch eine ausreichende Anzahl an ausgebildeten Praxisanleiterinnen und -anleitern.
  • Durch ein Team, das Ausbildung als wichtig erachtet.
  • Durch eine Leitung, die Ausbildung als Marketing-Instrument sieht und die Auszubildenden und Praxisanleiterinnen und -anleiter fördert und fordert.
  • Durch eine Freistellung der Praxisanleiterinnen und -anleiter von der vorgegebenen Anzahl an Patientinnen und Patienten: Eine Praxisanleiterin und ein -anleiter kann nicht zwölf Patientinnen und Patienten in der Klinik versorgen und zusätzlich zwei Auszubildende anleiten.
  • Durch sichere Dienstpläne mit den geplanten strukturierten zehn Prozent Praxisanleitungstagen.
  • Durch die Thematisierung der Ausbildung bei jeder Stationsbesprechung.
  • Durch das Fördern von Netzwerken der Praxisanleiterinnen und –anleiter im Unternehmen und darüber hinaus.
  • Indem man Praxisanleitung als Position im Team und nicht als zusätzliche Funktion betrachtet – denn Praxisanleiterinnen und -anleiter managen Bildung, Stationsleitungen managen Personal.
     

Wie verbessert das neue Pflegeberufegesetz aus Ihrer Sicht die Praxisanleitung?

Es gibt eine bessere Finanzierung, die den Anteil von zehn Prozent strukturierter Anleitung umfasst. Wir müssen schauen, ob das in der Praxis ausreicht. Dem Lernort Praxis obliegt nun die Entscheidungshoheit für die Probezeitbeurteilung und Zwischenprüfung. Dadurch müssen Lehrende laut Gesetz nur noch im Examen vor Ort sein. Der Lernort Praxis ist also für sich verantwortlich, das heißt: die pädagogische Arbeit erhält eine größere Bedeutung und ist neben der pflegerischen Versorgung zentral. Eine Ausbildung nebenbei ist nicht mehr möglich. Dafür dürfen sich Praxisanleiterinnen und –anleiter auch 24 Stunden pro Jahr berufspädagogisch fortbilden. Außerdem ist die Vornotenregelung nun gesetzlich verankert. Dadurch haben die Einsatzbeurteilungen im Jahreszeugnis ein größeres Gewicht. Bislang stehen Praxisanleiterinnen und -anleiter in allen Pflegesettings nicht in dem geforderten Maß zur Verfügung. Das heißt, sie sind nun gefragt, die Freiräume für die Praxisanleitung mit gutem Grund einzufordern. 
 

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