Mit dem Thema Tod und Sterben haben Pflegekräfte in fast allen Bereichen Berührungspunkte. Unter Umständen sind sie damit sogar tagtäglich konfrontiert. Was bedeutet das für den Pflegealltag?
Um einen sterbenden Menschen und seine Angehörigen gut zu begleiten, kommt es auf zahlreiche Faktoren an. Im Praxisdialog zu diesem Thema sahen Netzwerkmitglieder zuallererst die gesellschaftliche Haltung zum Tod als problematisch an: „Man sagt sein ganzes Leben lang: Ich habe Hunger. Ich habe Durst. Ich bin müde. Aber in dem Moment, in dem ein Mensch sagt, dass er sterben möchte oder spürt, dass es bald soweit ist, sagen plötzlich alle: Du musst nicht sterben“, berichtet Susannah Morlok, Netzwerkmitglied und zuständig für Integration in Gesundheitsberufe bei saarland.innovation&standort e.V. (saaris e.V.). Doch gerade die aktive Auseinandersetzung mit dem Tod bietet auch Potenziale. Andreas Wagner, Leiter im Hospiz St. Peter Oldenburg, findet: „Wir dürfen den Tod nicht als Gegner sehen, frei nach dem Motto: Der Mensch hat lange gekämpft und den Kampf verloren. Wenn wir hier eine neue Haltung einnehmen, kann diese Zeit unglaublich schön und eine große Kraftquelle sein.“ „Um in der Pflege eine gesunde Haltung zu dem Thema entwickeln zu können, braucht es Zeit und Raum für Reflexion“, ergänzt Netzwerkmitglied Johanna Gernentz, Projektleiterin im Gerontopsychiatrisch-Geriatrischen Verbund Charlottenburg-Wilmersdorf e. V. „Das fängt schon in der Ausbildung an. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass alle Auszubildenden, die im Hospiz waren, ganz begeistert und beseelt waren. Sie nehmen dort unglaublich viel mit.“
Darüber hinaus spiele zum Beispiel auch die Frage, wann Sterben überhaupt beginnt, eine entscheidende Rolle: „Das Feld an Gestaltungsmöglichkeiten entsteht zwischen dem Zeitpunkt der Diagnose ‚sterbend‘ und dem Versterben“, sagt Hospizleiter Wagner im Praxisdialog. „Je früher die Diagnose gestellt wird, desto mehr Zeit bleibt für die Ausgestaltung.“ Verschiedene Betrachtungsweisen bieten hier jedoch unterschiedliche Ansatzpunkte. Während aus medizinischer Sicht nur messbare körperliche Faktoren entscheidend sind, spielen aus soziologischer Sicht auch Aspekte eine Rolle, die schon lange vor dem physiologischen Sterben eintreten können – wie zum Beispiel ein verstärkter sozialer Rückzug oder Gefühle der Vereinsamung.
Sterbebegleitung ist ausdrücklicher Bestandteil des Versorgungsauftrages der sozialen Pflegeversicherung. Aber wie können sich Pflegeeinrichtungen und -dienste gut auf Herausforderungen wie diese einstellen und ihre Mitarbeitenden vorbereiten? Darüber haben wir mit Dr. Stephanie Stadelbacher, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Sterben zuhause im Heim“ an der Universität Augsburg, gesprochen:
Frau Dr. Stadelbacher, wie muss sich Pflege strukturell auf das Thema Palliativversorgung einstellen?
Gerade wenn Pflege bedürfnisorientiert und bewohnerzentriert sein soll, braucht es genügend Personal, das sich Zeit nehmen kann – auch und vor allem am Lebensende. Darüber hinaus sollte das Personal im Bereich Hospizkultur und Palliativversorgung ausreichend geschult und qualifiziert sein, um eine adäquate Schmerzversorgung und eine kompetente Einschätzung von palliativen Situationen leisten zu können. Und schließlich erweisen sich gelebte Kooperationsbeziehungen als wichtig: Heime, die mit ambulanten Hospizdiensten und Palliative-Care-Teams zusammenarbeiten, beschäftigen sich intensiver mit dem Thema und schätzen die erreichte Kompetenz und Pflegequalität positiver ein.
Welche Kenntnisse und Ressourcen braucht die Palliativarbeit?
Wichtig sind neben der fachlichen Qualifikation vor allem das Wissen über die Bewohnerin oder den Bewohner als Person, über die Biographie, die Vorlieben und Interessen, die Bedürfnisse und Ängste. Das ist vor allem von Bedeutung, wenn Kommunikation am Lebensende nicht mehr verbal stattfinden kann. Eine wichtige Ressource ist Zeit in quantitativer Hinsicht, die es zum Beispiel ermöglicht, auch mal ein längeres Gespräch mit den Angehörigen zu führen, ohne die Versorgung der anderen Bewohnerinnen und Bewohner vernachlässigen zu müssen. Und es kommt auch auf die Unterstützung durch externe Partnerinnen und Partner an, sodass die Pflegekräfte entlastet werden.
Wie können Einrichtungen und Dienste ihre Mitarbeitenden vorbereiten?
Neben der bereits erwähnten Qualifikation, die natürlich auch durch die Arbeitgeber in Form von Weiterbildungen unterstützt werden muss, kommt es hier an erster Stelle auf die Verankerung einer Palliativkultur in der gesamten Organisation an. Dazu gehört vor allem das Selbstverständnis, dass die Einrichtung Ort des Lebens und des Sterbens zugleich ist. Aber auch Kommunikations- und Austauschstrukturen, also Räume und Zeiten für Reflexion und Gespräche, sind entscheidend, damit die Pflegekräfte sich untereinander und gegebenenfalls auch mit Expertinnen und Experten über ihre Erfahrungen, Probleme und Herausforderungen im Arbeitsalltag austauschen und beraten können.
Auch Andreas Wagner und Susannah Morlok haben Tipps zum Umgang mit dem Thema Tod und Sterben in der Pflege. In den Audiostatements sprechen sie über ihre Erfahrungen und wie sie mit den entsprechenden Situationen umgegangen sind.
Im Dialog mit Kolleginnen und Kollegen werden Probleme und Lösungsansätze diskutiert: Was hat sich bereits bewährt? Wie gehen andere Einrichtungen mit den Herausforderungen um?
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