Immer mehr ältere Menschen mit Unterstützungsbedarf leben allein, wodurch es häufiger zu häuslicher Unterversorgung und Isolation oder im Extremfall sogar Verwahrlosung kommen kann. Vor diesem Hintergrund sehen sich Mitarbeitende der Rettungsdienste zunehmend mit pflegerischen und sozialen Handlungsbedarfen älterer Notrufender konfrontiert. Aus Mangel an Alternativen werden die Betroffenen bisher häufig in Krankenhäuser transportiert – selbst dann, wenn kein akuter medizinischer Notfall besteht. 

Pilotprojekt in Wiesbaden gestartet
Aus diesem Grund wurde 2018 in Wiesbaden ein Kooperationsverfahren zwischen kommunalen Beratungsstellen für selbstständiges Leben im Alter und dem Rettungsdienst ins Leben gerufen. Ziel der Kooperation „Schnittstellenmanagement bei Krankenhausaufnahme und -entlassung“ war es, Rettungskräfte zu ertüchtigen, ältere Personen mit sozialen Bedarfen zu melden und Krankenhausaufnahmen aufgrund rein sozialer Indikationen zu vermeiden.

Im Rahmen des Modellversuchs überprüften die gerufenen Rettungskräfte nicht nur den gesundheitlichen Status des Notrufenden, sondern anhand eines Meldebogens mit vorgegebenen Kategorien auch das Vorliegen möglicher sozialer Bedarfe. Je nach medizinischer Indikation erfolgte die Versorgung vor Ort oder alternativ der Transport in ein Krankenhaus. Insgesamt wurden knapp 500 Meldungen von Rettungskräften ausgewertet und im Anschluss mit den Rückmeldungen der Sozialarbeitenden verglichen. Es zeigte sich, dass die von den Rettungskräften gemeldeten sozialen Bedarfe der Notrufenden größtenteils bestätigt werden konnten. Außerdem konnte etwa die Hälfte der Menschen, die einen Notruf absetzten, zu Hause beraten beziehungsweise mit weiterführenden Unterstützungsangeboten versorgt werden – wodurch zahlreiche medizinisch nicht notwendige Krankenhauseinweisungen vermieden werden konnten. 

Fazit: Kooperationen helfen Rettungsdienste zu entlasten
Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von Dr. Petra Schönemann-Gieck, Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg. Sie fasst zusammen: „Das Kooperationsverfahren ist ein vielversprechender Ansatz zur Entlastung des Rettungsdienstes und der Krankenhäuser.“ Das Projekt habe außerdem Modellcharakter: „Das Interesse am Verfahren ist groß und erstreckt sich inzwischen auf Anfragen aus anderen Gebietskörperschaften.“

Der Bedarf an neuen Kooperationsformen zwischen Rettungsstellen in Krankenhäusern mit anderen Organisationen ist inzwischen auch auf Bundesebene erkannt. So hat die vierte Stellungnahme der Regierungskommission zur Verbesserung der Akut- und Notfallversorgung (hier geht's zum PDF-Download) eine verbesserte Organisation der Notfallversorgung aufgegriffen und hier auch das Thema der Zusammenarbeit von Pflege und Notfall adressiert. 

Digitales Gesundheitstagebuch und Telemedizin im Test
Darüber hinaus gibt es weitere Pilotprojekte, die neue Kooperationsformen testweise umsetzen und wissenschaftlich begleiten. So fördert der G-BA Innovationsfonds eine Studie mit 1.500 ambulanten Pflegeempfangenden aus Berlin mit ca neun Millionen Euro unter dem Dach des Projekts „Stay & treat@home“. Im Projektzeitraum von Oktober 2022 bis September 2026 wird untersucht, wie sich eine neue Versorgungsstruktur auf der Basis eines digital-interaktiven Gesundheitstagebuches und telemedizinischen Lösungen sowie der Einbindung mehrerer Fachdisziplinen in Klinik, Pflege und hausärztlicher Versorgung auf die Zahl von Notfalleinsätzen, Krankenhausbehandlungen, Behandlungskosten und Lebensqualität auswirkt. Die Konsortialführung erfolgt durch die Charité – Universitätsmedizin Berlin als Zusammenarbeit der Zentralen Notaufnahme (ZNA) unter der Leitung von Prof. Dr. Rajan Somasundaram und der Forschungsgruppe Geriatrie | AG Pflegeforschung unter Leitung von PD. Dr. Nils Lahmann. 
 

Weitere Informationen zum Pilotprojekt in Hessen
Weitere Informationen zum Pilotprojekt in Berlin
Weitere Infos zur Stellungnahme der Regierungskommission zur Verbesserung der Akut- und Notfallversorgung