„Pflegende Angehörige erleben nicht nur negative Seiten der häuslichen Pflege, sondern erfahren auch positive Auswirkungen, die sich erst durch die Pflegetätigkeit ergeben“, so Dr. Anna Pendergrass vom Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung an der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Johannes Kornhuber) des Uniklinikums Erlangen. Sie ist Projektleiterin des Forschungsprojekts „Benefits of Being a Caregiver“.

Mit der jüngst erschienenen Studie möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Verbesserung der Pflegesituation in Deutschland beitragen. Deshalb erforschen sie die positiven Seiten, die sogenannten Zugewinne durch die häusliche Pflege. Um die „Benefits“ der häuslichen Pflege valide wissenschaftlich zu erfassen, haben sie gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen einen speziellen Fragebogen entwickelt. Dabei waren Expertinnen und Experten aus der Demenzversorgung und der Pflege sowie Angehörige einbezogen. Er kann kostenlos von der Webseite des Forschungsprojektes heruntergeladen werden. Bisher gab es weltweit solch einen wissenschaftlich gültigen Fragebogen nicht. Es fehlte zudem eine einheitliche Definition des Konzepts der „Benefits“. Im Rahmen des Projektes wurden mehr als 900 pflegende An- und Zugehörige befragt.

 

Zugewinn ist unabhängig von der Belastung

61,7 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen durch die Pflegetätigkeit deutlicher geworden ist, welche Werte ihnen persönlich in ihrem Leben wichtig sind. Mehr als die Hälfte hat „viel dazu gelernt“ und 41 Prozent berichteten, ihre Zeit besser organisieren zu können. Zu den Zugewinnen, den „Benefits“, gehören noch weitere Erfahrungen: Die pflegenden Angehörigen sind geduldiger und reifer geworden, erlebten mehr Wertschätzung von anderen Menschen und haben eine positivere Lebenseinstellung gewonnen. Ein weiteres überraschendes Ergebnis ist: „Die Zugewinne werden völlig unabhängig von der Belastung und der Dauer der Pflege erlebt“, sagt Prof. Dr. Elmar Gräßel, einer der Co-Autoren der Studie und Projektleiter beim Digitalen Demenzregister Bayern. 

Im Durchschnitt waren die Befragten 61 Jahre alt, mehr als zwei Drittel (76,2 Prozent) weiblich. Bei den Pflegebedürftigen lag das Durchschnittsalter bei 77 Jahren. Altersgebrechlichkeit, Demenz, ein Schlaganfall oder eine Krebserkrankung waren Gründe für die Pflegebedürftigkeit.

Mit ihrer Studie möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu beitragen, dass sich die Pflegesituation in Deutschland verbessert. Denn etwa vier von fünf Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt – meist von Angehörigen. Auf Basis der erforschten „Benefits“ könnten praktische Maßnahmen entwickelt werden, um die Lebenssituation von Pflegenden, aber auch von Gepflegten zu verbessern und die häusliche Pflege zu stärken.

Pflegende und Gepflegte können profitieren

Auch aus der internationalen Forschung gibt es erste Belege dafür, dass sich die erlebten Zugewinne vorteilhaft auf die Pflegenden und Gepflegten auswirken und psychologische sowie körperliche Beschwerden dadurch abgemildert werden können. In Deutschland stellten Studien bisher meist die Belastungen für pflegende Angehörige heraus. In der ZipA-Studie, die 2020 erschienen ist und vom Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert wurde, gaben 68 Prozent der Befragten an, durch die Pflege eines Angehörigen stark bis sehr stark belastet zu sein. 17 Prozent fanden ihre Pflegesituation nicht belastend. Dass auch die Gepflegten von der häuslichen Pflege profitieren, zeigen verschiedene Studien des Deutschen Zentrums für Altersfragen. Der siebte Kurzbericht kam 2022 zu dem Ergebnis, dass Menschen ab 80 Jahren mit Demenz, die zuhause leben, ihre Lebensqualität höher und ihre Depressivität geringer einschätzen als diejenigen, die in stationären Pflegeeinrichtungen untergebracht sind.

Mehr Infos um Forschungsprojekt gibt es hier: https://www.psychiatrie.uk-erlangen.de/med-psychologie-soziologie/forschung/benefits-of-being-a-caregiver/

 

Pflegequalität