Teilprojekt 1: „Analyse der Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Pflege 2020–2022“
In zahlreichen Publikationen sind bereits vielfältige Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Langzeitpflege beschrieben worden. Diese betreffen insbesondere die Versorgung, die Belastung des Pflegepersonals und die Lebenssituation der Pflegebedürftigen. Das Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) hat daher im Auftrag des BMG die wichtigsten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus ca. 50 Publikationen, die vom BMG und vom iso-Institut als relevant eingestuft wurden, zu einer Kurzexpertise mit zentralen Handlungsempfehlungen zusammengefasst. 

Kernaussagen: Verbesserungen für den Infektionsschutz, Minimierung der psychischen Belastung und Ausbau der digitalen Infrastruktur

Bei der Veranstaltung „Lehren aus der Corona-Pandemie und zukünftige Krisenresilienz in der Langzeitpflege“ am 6. Dezember stellte Dr. Thorsten Lunau vom iso-Institut diese Kurzexpertise vor. Als zentrale Lehren stellte er heraus, dass eine bessere Kooperation zwischen Pflegeeinrichtungen und Gesundheitsämtern anzustreben ist und gemeinsam Pandemiepläne entwickelt werden, die in regelmäßigen Übungen erprobt werden. Auch das Thema psychische Belastung und Einsamkeit als Folge der Infektionsschutzmaßnahmen sei von großer Bedeutung. Die soziale Teilhabe Pflegebedürftiger wurde stark eingeschränkt. „Bei allen getroffenen Maßnahmen sollte das Ziel sein, die psychische Belastung für alle Beteiligten weitestgehend zu minimieren – etwa über die Bereitstellung von Besuchsräumen oder anderen Kontaktmöglichkeiten“, betonte Dr. Thorsten Lunau. Mit Blick auf die Digitalisierung habe man etliche Defizite ganz deutlich erkannt, etwa in der digitalen Infrastruktur vieler Pflegeeinrichtungen. Das würde schon bei fehlenden WLAN-Anbindungen anfangen, die es erschweren, digital Kontakt mit Angehörigen aufzunehmen.

Die fünf wichtigsten Handlungsempfehlungen
Die Handlungsempfehlungen, die im Rahmen dieses Teilprojektes ermittelt wurden, sind in fünf zentrale Kategorien unterteilt:

  • Infektionsepidemiologische Situation in stationären Einrichtungen, 
  • Psychische Gesundheit von Pflegebedürftigen, 
  • Arbeitsbelastungen von Beschäftigten, 
  • Versorgung Pflegebedürftiger und 
  • Digitalisierung

Eine Zusammenstellung der wichtigsten Erkenntnisse enthält der Kurzbericht (PDF-Download, barrierefrei), eine ausführlichere Darstellung bietet die Langfassung (PDF-Download, barrierefrei)
 

Die Empfehlungen im Überblick

Infektionsepidemiologische Situation in den stationären Einrichtungen

  • Erstellung und Weiterentwicklung von Pandemieplänen
  • Bereitstellung und angemessene Verwendung persönlicher Schutzausrüstung
  • Stärkung der Hygienekompetenz und des Hygienemanagements 
  • Prüfung von Alternativen zu pauschalen zutritts- und zugangsregulierenden Maßnahmen

Psychische Gesundheit von Pflegebedürftigen

  • Minimierung der sozialen Isolation bei der Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen 
  • Entwicklung von Strategien zur Erhaltung der sozialen Teilhabe bzw. Lebensqualität 

Versorgung Pflegebedürftiger

  • Weiterentwicklung telemedizinischer Lösungen
  • Kooperationen mit externen Anbietern, um bedarfsgerechte Versorgungsangebote zu ermöglichen
  • Einrichtung alternativer Wohnformen mit kleineren Wohneinheiten für besseren Infektionsschutz und zur Verbesserung der Lebensqualität

Arbeitsbelastung von Beschäftigten

  • Stärkere Beteiligung an Entscheidungsprozessen 
  • Etablierung von Angeboten zur physischen und psychischen Entlastung 
  • Stärkere Unterstützung der Führungskräfte, insbesondere bei der Umsetzung von Verordnungen und Regularien 

Digitalisierung

  • Ausbau der digitalen Infrastruktur in Pflegeeinrichtungen
  • Ausbau digitaler Kommunikationsmöglichkeiten
  • Vermittlung digitaler Kompetenzen 

Hier geht es zur Aufzeichnung des Vortrags von Thorsten Lunau, iso-Institut, während der Fachveranstaltung „Lehren aus der Corona-Pandemie und zukünftige Krisenresilienz in der Langzeitpflege“:

Vortragsfolien als PDF-Datei

Praxisdialog zum Thema

Dr. Thorsten Lunau vom iso-Institut stellte die Erkenntnisse im Online-Praxisdialog am 1. Februar 2024 um 14 Uhr vor. Die Aufzeichnung und die Präsentation seines Impulsreferates finden Sie hier.

Teilprojekt 2: Diskussion der Handlungsempfehlungen in Fokusgruppen 
Die aus der Literaturauswertung herausgearbeiteten Erkenntnisse wurden im Rahmen von Diskussionsrunden mit Leitungspersonal stationärer Pflegeeinrichtungen und externen Expertinnen und Experten diskutiert und bewertet. Diese Fokusgruppen wurden im Auftrag des BMG von der INFO GmbH Markt- und Meinungsforschung durchgeführt und ausgewertet. Es gab insgesamt drei Gruppendiskussionen mit jeweils fünf bis acht Teilnehmenden. Hauptergebnisse sind, dass die Aufarbeitung der Corona-Pandemie in der Pflege von den Teilnehmenden grundsätzlich begrüßt wurde. Zudem wurde anerkannt, dass die Literatur viele Kernproblembereiche adressiert und wichtige Handlungsansätze bzw. Maßnahmen liefert. Gleichzeitig kritisierten die Befragten aber auch, dass viele dieser Maßnahmen unkonkret bleiben und wichtige Aspekte unterbelichtet lassen. Dazu gehört vor allem das Problem des Theorie-Praxis-Transfers bei der Umsetzung einer Vielzahl von gesetzlichen Verordnungen und Vorgaben. Dr. Holger Liljeberg und Dolores Domke von der INFO GmbH fassten die Fokusgruppengespräche auf der Fachveranstaltung am 6. Dezember zusammen.

Auch andere, weitere Herausforderungen der Corona-Pandemie wurden von den Teilnehmenden besonders intensiv diskutiert – wie zum Beispiel die strikten Infektionsschutzmaßnahmen und die damit zusammenhängende Isolation von Pflegebedürftigen. Dr. Holger Liljeberg fasste die zentrale Erkenntnis aus den Fokusgruppen so zusammen: „Anhand der zum Teil auch kritischen Diskussionen der Teilnehmenden haben wir klar gesehen, dass rückblickend die Balance zwischen Infektionsschutz auf der einen Seite und sozialer Teilhabe auf der anderen Seite enorm schwierig umzusetzen war. Viele Einrichtungen stellen sich daher für die Zukunft die Frage, wieviel Schutz in der Praxis sein muss, und welche anderen Wege es gibt, die gleichen Ziele zu erreichen.“ 

Theorie-Praxis-Transfer ist entscheidend
Wie Dr. Holger Liljeberg und Dolores Domke berichteten, war auch die „Übersetzung“ von gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben und Empfehlungen in konkrete Maßnahmen eine komplexe Herausforderung für viele Einrichtungen – nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen und regionalen Gegebenheiten in den Pflegeeinrichtungen. „Viele haben die Pandemie als eine Zeit der Regelungswut und Umsetzungsüberforderung wahrgenommen“, berichtete Dr. Holger Liljeberg. In den Fokusgruppen habe es aber auch unterschiedliche Sichtweisen der beruflich Pflegenden auf der einen Seite und der externen Pflegeexpertinnen und -experten auf der anderen Seite gegeben, etwa bei der Diskussion über die richtige Balance zwischen hartem Infektionsschutz und der damit verbundenen sozialen Isolation. Während es in den Einrichtungen noch immer „Traumata“ aus dem schwierigen Umgang mit diesem Dilemma gebe, man „nie wieder starre Maßnahmen“ wolle und sich bei künftigen Krisen mehr Autonomie wünsche, sehen externe Expertinnen und Experten eine zu starke Flexibilisierung im Hygienebereich als Gefahr für einen effektiven Infektionsschutz. 

Auch beim Thema Hygiene gab es unterschiedliche Wahrnehmungen: Die Leitungspersonen berichteten, dass das Thema Hygiene in den Einrichtungen bis heute oft als „ermüdendes Verordnungsthema“ wahrgenommen werde. Die externen Expertinnen und Experten beschrieben hingegen Defizite im Bereich Hygiene und sehen weitere Maßnahmen als wichtig an. Übereinstimmend wurde betont, dass die Pandemie bestehende Probleme wie den Fachkräftemangel noch verschärft habe und der Mangel an Schutzausrüstung vor allem zu Beginn der Pandemie extrem kritisch gewesen, dann aber schnell in den Griff bekommen worden sei. 


Für künftige Krisen ist eine praxisnahe Wissensvermittlung zentral
Die verschiedenen Themen wurden von den Teilnehmenden der Fokusgruppen konstruktiv und lösungsorientiert besprochen. Gemeinsam wurden mögliche Handlungsvorschläge erarbeitet, etwa ein systematischerer „Übersetzungsprozess“ vom Bund über die Länder bis hin zur Einrichtungsebene durch ein multidisziplinär besetztes Gremium oder die gezielte Unterstützung der Einrichtungen bei der Entwicklung künftiger Krisenkonzepte und Pandemiepläne. „Eine praxisnahe und teamorientierte Wissensvermittlung ist in allen Themenfeldern zentral“, sagte auch Dolores Domke, die für die INFO GmbH direkt an der Durchführung der Fokusgruppen beteiligt war. 
 

Die Ergebnisse der Befragung im Überblick

„Regelungsflut“ und Umsetzungsüberforderung

  • Abgestimmtes „Regulierungsmanagement“ der Behörden in Krisensituationen mit systematischem Theorie-Praxis-Transfer auf Länderebene
  • „Übersetzung“ der Regularien durch ein übergeordnetes, multidisziplinär besetztes Gremium aus Wissenschaft, Gesetzgebung, Verbänden und Praxis, um die effiziente und einheitliche Umsetzung von Vorgaben des Bundes, des RKI und der Länder sicherzustellen. 
     

Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern

  • Gesundheitsämter sollen so ausgestattet werden, dass sie die Einrichtungen kooperativ unterstützen können. Sie sollten Informationen digital und mit wenig bürokratischem Aufwand bündeln und die Einrichtungen beratend begleiten; zudem sollten sie kontinuierlich erreichbar sein. Kommunale Krisenzirkel könnten das Krisenmanagement der örtlichen Gesundheitsämter unterstützen. 

Hygienekompetenz

  • Hygienebeauftragte Pflegefachpersonen und eine Betreuung der Einrichtungen durch Hygienefachkräfte könnten durch regelmäßige Schulungen und intensive Begleitung vor Ort zu einer praxisnahen Wissensvermittlung und verbesserten Umsetzung von Hygienemaßnahmen beitragen.
  • Erstellung landeseinheitlicher Regelungen mit einem systematischen Theorie-Praxis-Transfer
     

Auswirkungen der Infektionsschutzmaßnahmen

Lösungsvorschläge der Einrichtungsleitungen: 
Flexibilisierung des Infektionsschutzes zugunsten einer stärkeren sozialen Teilhabe für die Bewohnerinnen und Bewohner durch mehr Entscheidungs-Autonomie der Einrichtungen und individuelle Risikoeinschätzung bei minimalem Einsatz von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen 

Einschätzung der externen Expertinnen und Experten: 
Schutzmaßnahmen haben Infektionen und Todesfälle verhindert, ein klarer Kompromiss zwischen Infektionsschutz und sozialer Teilhabe ist schwer zu finden. 
 

Digitalisierung

  • Ausbau der digitalen Infrastruktur in Pflegeeinrichtungen
  • Ausbau digitaler Kommunikationsmöglichkeiten
  • Vermittlung digitaler Kompetenzen 

Überlastung des Pflegepersonals

  • Bezogen auf die Pandemie wird die Digitalisierung als ein Schlüssel für die effiziente Umsetzung aller als potenziell wirksam eingestuften Maßnahmen gesehen. Einer zentralen digitalen Plattform wird besonderes Potenzial zugeschrieben für den einrichtungsübergeordneten Theorie-Praxis-Transfer und zur Reduktion des bürokratischen Aufwands beim Ausbruchsmanagement (Meldung/ Dokumentation/ Monitoring). 
  • Generell ist die Digitalisierung der zentrale Hebel für die Entlastung in verschiedensten Problembereichen der Pflege. Daher wird seitens der Diskutanten gefordert, den Ausbau voranzutreiben und finanziell zu unterstützen. 
     

Umsetzung von Maßnahmen zur Krisenvorsorge

  • Pflegeeinrichtungen erhalten externe methodisch-konzeptionelle Unterstützung bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung der Krisenresilienz. Hierzu zählt auch die Erstellung von Hygiene- und Pandemieplänen. 

Vortrag als Video ansehen
Hier geht es zur Aufzeichnung des Vortrags von Dr. Holger Liljeberg und Dolores Domke von der INFO GmbH Markt- und Meinungsforschung während der Fachveranstaltung „Lehren aus der Corona-Pandemie und zukünftige Krisenresilienz in der Langzeitpflege“:

Vortragsfolien als PDF-Datei

Praxisdialog

Im Praxisdialog vom 22. Februar 2024 stellten Dr. Holger Liljeberg und Dolores Domke von der INFO GmbH die Ergebnisse vor. Die Aufzeichnung und die Präsentation des Impulsreferates finden Sie hier.

Eine Zusammenstellung der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt enthält der Kurzbericht (PDF-Download, barrierefrei), eine ausführlichere Darstellung bietet die Langfassung (PDF-Download, barrierefrei)

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