Lila Banner mit großem weißen Text „NAH & DRAN“, dem „&“ in Orange. Rechts lautet der kleinere orangefarbene Text: „PFLEGEPOLITIK. PRAXISNAH. AUS ERSTER HAND.“.

Wie läuft es in der Ausbildung?

Der erste Jahrgang von Auszubildenden hat die neue generalistische Pflegeausbildung durchlaufen. Wir schauen auf Erfahrungen in der Praxis, und was die Begleitforschung dazu sagt.

Nach der ersten Frühschicht in einer stationären Langzeitpflegeeinrichtung in Nordrhein-Westfalen muss Jana Frankenthal (20) im Team-Aufenthaltsraum erst einmal durchatmen und einen großen Kaffee trinken. „Ich hätte nicht gedacht, wie herausfordernd die Arbeit in der Pflege ist“, erinnert sie sich an ihre Zeit als Auszubildende. Frankenthal gehört zum ersten Jahrgang, der die generalistische Pflegeausbildung abgeschlossen hat. Regelmäßig tauscht sie sich dazu mit ihrem Bruder Yannik (25) aus, denn: Er hat gleichzeitig die dreijährige generalistische Pflegeausbildung in Berlin durchlaufen. Die Bilanz der Geschwister: Die Ausbildung ist anspruchsvoll. Aber aus Yanniks Perspektive auch vielfältig. 

Sein Ausbildungsweg führte ihn von der Langzeitpflege über die Akutpflege zur Psychiatrie und in die Kinderrettungsstelle bis hin zum Hospiz und einem mobilen Pflegedienst. „Wir haben einen breiten Überblick bekommen, das finde ich gut“, sagt der 25-Jährige. Gleichzeitig sieht er noch Luft nach oben. „Ich habe gerade in der Langzeitpflege erlebt, dass man bei uns Kenntnisse vorausgesetzt hat, die wir eigentlich noch gar nicht hatten. Auch würde ich mir noch mehr Struktur beim Unterricht in der Pflegeschule wünschen.“ Aber, so Yannik Frankenthal weiter: „Ein völlig neuer Ausbildungsgang erfordert von allen Beteiligten erst einmal eine gewisse Flexibilität. So ist das, wenn Neuland betreten wird.“ 

“Eine frühe Berufsorientierung hilft, gut im Beruf anzukommen.”
Dr. Katja Seidel, Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG)
Liniendiagramm, das die Anzahl der neuen Pflegeauszubildenden in Deutschland von 2019 bis 2023 zeigt, beginnend bei 56.118 im Jahr 2019, mit einem Höchststand von 61.329 im Jahr 2021 und endend bei 60.312 im Jahr 2023.

Nachwuchs ist gefragt, weil der Pflegebedarf wächst

Aktuelle Zahlen zeigen, warum gut ausgebildete Pflegefachpersonen notwendig sind: Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts soll es bis zum Jahr 2055 rund 6,8 Millionen Pflegebedürftige geben. Gleichzeitig gehen die sogenannten Babyboomer in Rente – die geburtenstärksten Jahrgänge seit 1945. Das hinterlässt auch in der Pflege eine große Lücke.  

Um so wichtiger ist eine zukunftsfähige und qualitativ hochwertige Pflegeausbildung. Seit dem 1. Januar 2020 erfolgt die Ausbildung in Form einer generalistischen Ausbildung auf der Grundlage des Pflegeberufegesetzes, das die zuvor im Altenpflege- und im Krankenpflegegesetz getrennt geregelten Pflegeausbildungen zusammenführt. Den Start der neuen Pflegeausbildung begleitet die „Ausbildungsoffensive Pflege“ (mehr Infos hier) sowie eine wissenschaftliche Begleitforschung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), die durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gesteuert wird. Einige der rund 30 Forschungsprojekte liefern inzwischen erste Erkenntnisse. 

“Auszubildende brauchen konkrete Ansprechpersonen für ihre Fragen – idealerweise eine Koordinatorin oder einen Koordinator.”
Anna Sophie Pöschel, contec GmbH
Balkendiagramm mit den Gründen, warum Pflegeauszubildende über einen Abbruch nachdenken: Körperliche Belastung (56 %), psychische Belastung (52 %), mangelnde Ausbildungsqualität (43 %), schlechtes Image des Berufs (42 %), mangelnde Kompetenzvermittlung (29 %).

Ausbildungsabbrüche verhindern

Eine wichtige Frage im Rahmen der Forschung: Wie gelingt es, dass Auszubildende in der Pflege bleiben? Damit hat sich das BIBB-Projekt „Maßnahmen zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen in der Pflege“ (Laufzeit 2021–2024) sehr intensiv beschäftigt. In einem Konsortium haben die contec (Gesellschaft für Organisationsentwicklung), das Institut für europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft (IEGUS) und das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) Ursachen für Abbrüche untersucht und Maßnahmen entwickelt, mit denen Pflegeschulen und Einrichtungen solche Abbrüche verhindern könnten. Auszubildende und die, die ihre Ausbildung bereits abgebrochen hatten, nahmen dafür an quantitativen Panelbefragungen teil und gaben qualitativ-biografische Interviews. Ergänzend zu einem integrativen Review wurden Forschende und Führungskräfte aus der Pflegepraxis in einer zehnteiligen Workshopreihe einbezogen. Zehn ausbildende Einrichtungen, Pflegeschulen und Träger der praktischen Ausbildung erprobten so über sechs Monate mögliche Präventionsmaßnahmen. (Hier geht's zur Aufzeichnung eines Praxisdialogs zum Thema)

Was sich Auszubildende wünschen: mehr Anleitung

Auswertungen aus den Umfragen im BIBB-Projekt zeigen: Grundsätzlich dachte fast die Hälfte der befragten Auszubildenden häufig oder zumindest ab und zu über einen Abbruch nach, im Verlaufe der Ausbildung nahm das sogar zu. Vor allem der sogenannte „Praxis-Schock“ hat es in sich – unerwartete Belastungen, Forderungen und Anstrengungen: Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, wegen der Belastungen durch die praktische Arbeit an das Abbrechen zu denken. (Mehr zum Projekt in der Aufzeichnung unseres Praxisdialogs zum Thema erfahren)

Jana Frankenthal kann das nachvollziehen: „Gerade die viele Schichtarbeit war für mich völlig neu. Ich musste mich daran gewöhnen, dass wir regelmäßig am Wochenende und an Feiertagen arbeiten.“ 

Aber auch die Qualität der Anleitung, das Image des Berufs und die Vermittlung von wichtigen Kompetenzen werden von den Befragten als schlechter eingeschätzt als ursprünglich gedacht. Ein ähnliches Argument liefert Janas Bruder aus der persönlichen Erfahrung heraus: „Ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle mehr konkrete Anleitung gewünscht, anstatt einfach nur im Tagesgeschäft mitzulaufen.“ 
Den „Praxis-Schock“ erlebten aber nicht alle Auszubildenden, betont Dr. Katja Seidel, wissenschaftliche Mitarbeiterin des ISG: „Zwei Gruppen der Befragten litten deutlich weniger darunter: diejenigen, die bereits vor Ausbildungsbeginn erste Erfahrungen in der Pflege sammelten, sowie Auszubildende, die sich ganz bewusst für den Pflegeberuf als Traumberuf entschieden hatten.“ Laut Seidel sei daher eine möglichst frühe Berufsorientierung für Interessierte noch vor der eigentlichen Ausbildung hilfreich. 

Zwei medizinische Fachkräfte in blauen OP-Kitteln und Handschuhen kümmern sich um einen Patienten, der in einem Krankenhausbett liegt. Sie scheinen sich auf einen medizinischen Eingriff zu konzentrieren, während der Patient ihnen zusieht. Im Hintergrund sind medizinische Geräte zu sehen.

Was sagt die ausbildende Seite? Regina Klötzing ist Praxisanleiterin beim Sozialwerk Bremen, das am BIBB-Workshop teilgenommen und die Handlungsempfehlungen in einer Pilotphase erprobt hat. Sie begleitet Auszubildende in der Pflege seit 2020 und weiß, wie unterschiedlich die neue Ausbildung auf- und angenommen wurde: „Einige unserer Schüler fühlen sich durch die theoretischen Anforderungen überfordert. Andere hoffen darauf, auch pädagogische Arbeit mit Kindern durchführen zu können. Erwartungen sind so unterschiedlich wie die Menschen – das ist schwer zu verallgemeinern. Generell aber sehen wir, dass eine signifikante Zahl der Auszubildenden die Akutpflege gegenüber der Langzeitpflege präferieren, weil sie diese offensichtlich als spannender und abwechslungsreicher empfinden.“ 

“Gerade die viele Schichtarbeit war für mich völlig neu. Ich musste mich daran gewöhnen, dass wir regelmäßig am Wochenende und an Feiertagen arbeiten.”
Jana Frankenthal, nach Abschluss ihrer Pflegefachausbildung

Erfolgsfaktoren: Praxisnähe und Mentoring

Welche Erfolgsfaktoren in der Ausbildung zentral sind, hat Anna Sophie Pöschel miterarbeitet. Sie ist Organisations- und Netzwerkberaterin bei der contec GmbH und hat im BIBB-Projekt das Konzept zum „Haus der guten Ausbildung“ mitentwickelt. Die Expertin resümiert: „Die Qualität und Begleitung von Praxiseinsätzen ist entscheidend, um realistische Berufserwartungen zu fördern und Ausbildungsabbrüchen präventiv zu begegnen – ebenso wie ein starker Lernort Schule. Besonders wirksam ist die Ausbildung dann, wenn beide Lernorte eng verzahnt sind.“ 

Aber sie weist auch darauf hin, dass jede Pflegeeinrichtung individuelle Lösungen brauche. „Was wir grundsätzlich als Präventionsmaßnahme empfehlen, ist, eine Koordinatorin oder einen Koordinator im Haus zu benennen. Damit haben Auszubildende einen verlässlichen Ansprechpartner, den sie bei Fragen oder Schwierigkeiten direkt kontaktieren können“, unterstreicht Pöschel. Auch die Praxisbegleitung durch die Pflegeschulen sei ein zentraler Gelingensfaktor – „insbesondere dann, wenn sie kontinuierlich erfolgt und eine vertrauensvolle Verbindung zwischen Schule, Einrichtung und Auszubildenden schafft“, so Pöschel. 

Eine medizinische Fachkraft erklärt zwei Kollegen in blauen Kitteln eine Medikamentenflasche. Sie stehen zusammen in einem medizinischen Vorratsraum und hören aufmerksam zu. Links sind Regale mit medizinischem Material zu sehen.

Eine Einschätzung, die Regina Klötzing vom Sozialwerk Bremen teilt: „Als Praxisanleiter oder Praxisanleiterin sollte man den Kontakt zu den Auszubildenden möglichst über die gesamte Ausbildungsdauer halten, damit sie sich langfristig unterstützt fühlen. Wir haben zum Beispiel auch während der Fremdeinsätze regelmäßig mit ihnen telefoniert.“ Wichtig sei zudem, das Kollegium für Auszubildende zu sensibilisieren und ein offenes Ohr anzubieten. „Der heutige Azubi ist morgen ein Kollege oder eine Kollegin. Wer frühzeitig hilft, kann späteren Frust vermeiden.“ Entscheidend, so ihr Fazit aus der Praxis: Eine gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten. 

Weiterführende Artikel aus dem Magazin

Leitfaden für die Praxis: Haus der guten Ausbildung

Bildnachweis: BIBB / Hagedorn