§ 64d SGB V verpflichtet die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen, gemeinsam ab dem 1. Januar 2023 in jedem Bundesland mindestens ein Modellvorhaben nach § 63 SGB V zur Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten, bei denen es sich um selbstständige Ausübung von Heilkunde handelt, auf Pflegefachpersonen mit einer Zusatzqualifikation nach § 14 Pflegeberufegesetz (PflBG) nach Maßgabe des Rahmenvertrages durchzuführen. Im Juli 2022 ist der entsprechende Rahmenvertrag zwischen den Spitzenorganisationen nach § 132a Absatz 1 Satz 1 SGB V und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf Bundesebene in Kraft getreten, nach dessen Maßgabe die Modellvorhaben durchgeführt werden. Die Pflegefachpersonen sollen nach einer Zusatzqualifikation selbstständig Heilkunde ausüben und so mehr fachliche, rechtliche und wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Wie die Übertragung in der Praxis funktionieren könnte, weiß Christian Hener, Referent im Team Gesundheit, Seniorenarbeit und Pflege des DRK-Generalsekretariats:
- Aufgabenfeld bewusst machen: Der Rahmenvertrag legt einen Katalog ärztlicher Tätigkeiten, die von Pflegefachpersonen mit entsprechender Zusatzqualifikation selbstständig durchgeführt werden können, fest. Dem Rahmenvertrag liegt das Verständnis zugrunde, dass unter der Ausübung von Heilkunde „die auf wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete, praktische, selbstständige, eigenverantwortliche und fachlich weisungsungebundene oder im Dienst anderer ausgeübte Tätigkeit zur Verhütung, Feststellung Heilung oder Linderung menschlicher Krankheiten, Körperschäden oder Leiden“ zu verstehen ist.
- Rechtliches im Blick behalten: Bislang können nach dem Rahmenvertrag nach SGB V zugelassene Anbieter die Leistungserbringung und Abrechnung durchführen. Wichtige Voraussetzung ist deswegen, dass sich Pflegefachpersonen, welche im Rahmen des Modellvorhabens ärztliche Tätigkeiten übernehmen sollen, in einem Angestellten- oder Gestellungsverhältnis mit einem dementsprechenden Leistungsanbieter befinden. Sie erhalten dann ein Leistungserbringerkennzeichen, damit die Tätigkeiten an sie übertragen werden können. Auch die Einbeziehung des stationären Pflegebereichs im Rahmen der Modellvorhaben wurde gesetzlich ermöglicht. Der Rahmenvertrag ist dahingehend zu ergänzen.
- Versorgung und Bildung stärker verzahnen: Eine Zusatzausbildung mit staatlicher Prüfung ist Grundvoraussetzung für die Übernahme der ärztlichen Aufgaben. Momentan können in drei von den acht Pflege- und Therapiesituationen, für die die Fachkommission nach § 14 Absatz 4 Pflegeberufegesetz standardisierte Wahlmodule für die erweiterte Ausbildung entwickelt hat, heilkundliche Tätigkeiten im Rahmen der Modellvorhaben auf Pflegefachkräfte übertragen werden (Diabetes, chronische Wunden und Demenz). Grundsätzlich sieht der Rahmenvertrag aber die Möglichkeit zur Ergänzung weiterer Pflege- und Therapiesituationen vor, für die es standardisierte Module gibt, um die Versorgungsangebote stetig weiterzuentwickeln und an den Bedürfnissen der zu versorgenden Menschen ausrichten zu können.
- Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten neu ausrichten: Die Übertragung von originär ärztlichen Aufgaben an Pflegefachpersonen geht automatisch mit einer neuen Kultur der interdisziplinären Zusammenarbeit einher. Ärztinnen und Ärzte können im Rahmen der Modellvorhaben nach der Diagnosestellung, beispielsweise von Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2, eine Indikation zur Weiterbehandlung durch die Pflegefachperson stellen, die im Anschluss die Weiterbehandlung auf der Grundlage der Ausbildung nach den Heilkundemodulen übernimmt. Dazu müssen alle Beteiligten eine neue Form der interprofessionellen Zusammenarbeit, z. B. in Form von interprofessionellen Behandlungspfaden, entwickeln und gemeinsam etablieren, um Abstimmungsprozesse gemeinsam neu zu gestalten und mitgestalten zu können. Hierbei wird zum Beispiel zu klären sein, in welchem Umfang die Pflegefachpersonen mit erweiterten Kompetenzen die übertragenen Aufgaben durchführen und wie die Fallübertragung beziehungsweise Fallrückführung im Einzelnen funktioniert.