In einem Praxisdialog beantwortete die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Claudia Moll Fragen aus dem Netzwerk. Das Thema: wie Politik die Arbeitsbedingungen und das Bild der Pflege mitgestaltet. Hier finden Sie die wichtigsten Ergebnisse.
Wie können Mitgestaltung und Selbstverwaltung durch Pflegefachkräfte angemessen und in deren Sinne gestaltet werden?
„Es ist mir wichtig, dass die Pflege, dort wo über sie gesprochen wird, eingebunden ist. Und auch auf Vernetzung untereinander kommt es an. Das müssen wir noch verstärken. Wenn ich weiß, was den Pflegekräften fehlt und was besser sein könnte, kann ich das mit in die politischen Entscheidungen einfließen lassen – dazu müssen wir ihnen Gehör verschaffen.“
Wie stehen Sie zu der Ansicht, Pflege sollte dem Markt überlassen werden?
„Da habe ich eine ganz klare Aussage zu: Wir können sie nicht allein dem Markt überlassen. Aber wir brauchen auch die privatwirtschaftlichen Pflegeeinrichtungen, denn sie leisten einen wichtigen Beitrag in der Versorgungslandschaft. Ein Anliegen ist mir aber auch die Verbesserung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen von Pflegekräften als ein wichtiger Baustein für die Attraktivität des Pflegeberufs. Ab dem 1. September 2022 muss eine Pflegeeinrichtung, um als solche zugelassen zu sein, entweder selbst tarifgebunden sein oder – wenn sie das nicht ist – ihre Pflege- und Betreuungskräfte mindestens in Höhe von in der Region anwendbaren Pflege-Tarifverträgen entlohnen. Dass tatsächlich eine Entlohnung mindestens in Tarifhöhe an die Mitarbeitenden in Pflege und Betreuung gezahlt wird, muss gegenüber der Pflegekasse jederzeit nachweisbar sein. Das ist ein wichtiger Schritt.“
Wie wird das Gesundheitswesen entbürokratisiert?
„Vor allen Dingen müssen wir endlich die Digitalisierung in der Pflege voranbringen. Das heißt für mich aber nicht, dass wir es genauso machen, wie vorher in Papierform. Vielmehr sollen sich Pflegekräfte mit anderen Stellen aus dem Gesundheitswesen wie Ärztinnen und Ärzten oder Therapeutinnen und Therapeuten besser und schneller abstimmen können. Darüber hinaus wird gerade geprüft, wo die Dokumentationspflichten überholt sind. Eine doppelte Dokumentation an verschiedenen Stellen sollte verhindert werden. Ein Meilenstein ist hier die Einführung des Strukturmodells zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation – EinSTEP.“
Was können Auszubildende tun, wenn sie schlecht behandelt werden?
„Wenn man schlechte Erfahrungen macht, sollte man sich vertrauensvoll an die Pflegedienstleitung, die Stationsleitung oder an die Pflegeschule wenden und offen darüber reden. Wir brauchen die Auszubildenden. Es kann nicht sein, dass sie schon in der Ausbildung so demotiviert werden, dass sie keine Freude mehr an dem Beruf haben oder ihn sogar vorzeitig verlassen. Wenn es gar nicht anders geht, können sie auch die ausbildende Einrichtung wechseln.“
Was braucht es, um Auszubildende unter guten Umständen ausbilden zu können?
„Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Wenn ich zum Beispiel genug Personal habe, habe ich auch Zeit, mich um meine Auszubildenden zu kümmern, sie gut anzulernen und ihnen zuzuhören. Daran müssen wir weiterhin arbeiten. Das Pflegeberufegesetz stärkt endlich auch die Praxisanleitung in den Einrichtungen vor Ort.“
Wie baut die Politik die bundeseinheitliche Pflegehelferqualifikation aus?
„Das ist ein wichtiges Thema, das schnellstmöglich umgesetzt werden muss. Ich habe alle Gesundheitsministerinnen und -minister angeschrieben und erneut daran appelliert, hier endlich eine Lösung zu finden. Bei 16 Ländern ist es aber nicht einfach, alle unter einen Hut zu bekommen, denn jedes Land hat andere Regelungen und Vorstellungen.“
Wie stehen Sie dazu, dass es viele Menschen gibt, die denken, jede und jeder könne pflegen?
„Nicht alle können pflegen – schon gar nicht professionell. Man darf hier aber ganz klar die Pflege durch Angehörige nicht gleichsetzen mit der professionellen Pflege. Angehörige leisten eine wichtige und unverzichtbare Arbeit, ohne diese würde unsere Pflegelandschaft zusammenbrechen.“
Die Pandemie war eine völlig unerwartete und neue Herausforderung. Trotzdem haben Pflegekräfte die ihnen anvertrauten Menschen weiter versorgt und die Situation gut bewältigt. Das kann man – bei allen Schwierigkeiten – als Erfolg verbuchen. Deshalb: Können Pflegekräfte und Politik Pflege nicht anders – also positiv – erzählen?
„Absolut! Wir müssen selbstbewusst und positiv von diesem tollen Beruf berichten, wenn wir Menschen dafür gewinnen wollen. Damit sollen die Herausforderungen jedoch nicht bagatellisiert werden. Aber es bringt auch niemandem etwas, wenn Menschen Angst haben, sich in Pflegeeinrichtungen zu begeben, weil sie immer nur hören, dass dort schlechte Zustände herrschen. Das ist nicht die Pflege, die ich kenne. Wir müssen erzählen, was wir zustande bringen. Alles andere ist ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die gerne in dem Beruf arbeiten und gute Pflege machen.“
Sollte es wieder ein freiwilliges soziales Jahr für junge – und vielleicht auch für ältere – Menschen im Pflegebereich geben?
„Grundsätzlich bin ich dafür, weiß aber nicht ob es ein ganzes Jahr sein muss. Ich finde die Idee einer sozialen Pflichtzeit aber gut – und auch für Menschen in den früheren Jahren des Ruhestands. Ich muss jedoch auch sagen, dass ich ein totaler Fan vom Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) bin. Ich glaube, dafür müssen wir viel mehr Werbung machen. Die Bufdis, die ich hatte, waren nach einem halben Jahr ganz andere Menschen. Und viele von ihnen sind auch in der Pflege oder anderen sozialen Berufen geblieben.“
Was bedeutet für Sie „Berufung“?
„Berufung heißt, dass ich etwas mit Herz mache, dass ich es gerne mache, und nicht, dass ich mich komplett aufopfere. Ich finde, dass man für die Pflege eine Berufung haben sollte. Aber das gilt eigentlich für jeden Beruf.“