
Wie kann Künstliche Intelligenz pflegerisches Personal im Berufsalltag unterstützen? Am Beispiel eines KI-basierten Bewegungsmonitorings wird aktuell erprobt, welche Effekte teilautomatisierte Pflegeprozesse in der Langzeitpflege haben. Langfristig sollen die Ergebnisse bei der Dokumentation von Stürzen und der Einschätzung von Sturzrisiken helfen.
Die Idee ist vielversprechend: Eine Sensoren-Box wird im Zimmer platziert und erkennt, wenn eine pflegebedürftige Person stürzt. Die Technik erstellt automatisch die Dokumentation zur Uhrzeit, zum Schweregrad und Verlauf des Sturzes – so wird das Pflegepersonal entlastet. Gleichzeitig erhöht dieses System die Sicherheit – zum Beispiel nachts, wenn Pflegende zum Teil alleine mehrere Bewohnerinnen und Bewohner betreuen. Das vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Projekt ETAP (Evaluation Teilautomatisierter Pflegeprozesse) erprobt seit Anfang 2023 die KI-basierte Technik in mehreren stationären Pflegeeinrichtungen. „Langfristiges Ziel ist es, frühzeitig Mobilitätsveränderungen zu erkennen und Pflegekräfte sowohl in der Dokumentation als auch bei der Einschätzung von Risiken zu unterstützen“, sagt Jenny Wielga, Projektkoordinatorin vom Institut für Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule. Sie weiß aber auch: Die Integration digitaler Systeme in den Pflegealltag erfordert nicht nur technisches Verständnis, sondern auch gute Kommunikation und ein realistisches Erwartungsmanagement.
Im Zentrum des ETAP-Projekts steht eine Sensoren-Box, die in den Zimmern von Pflegebedürftigen in den beteiligten stationären Pflegeeinrichtungen angebracht wird. Der Sensor erkennt nicht nur Stürze, sondern soll auch Bewegungsmuster analysieren und bei auffälligen Veränderungen Hinweise liefern. Am Projekt beteiligt sind neben dem IAT das Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) sowie das Cognitive Systems Lab (CSL) der Universität Bremen, die Unternehmen Future App Solutions Care und DHC Digital HealthCare-Systems sowie die Pflegeeinrichtungen Arbeiterwohlfahrt Karlsruhe gGmbH und Stift Tilbeck GmbH.
Technisch basiert der Sensor auf visueller Erkennung: Es werden keine klaren Bilder aufgenommen, sondern abstrahierte schemenhafte Umrisse. Nur im Falle eines Sturzes wird eine kurze, stark verzerrte Videosequenz gespeichert. Eine Überwachung im klassischen Sinne findet nicht statt – vielmehr geht es um punktuelle Erkennung sicherheitsrelevanter Ereignisse. Pflegefachpersonen erhalten im Alarmfall eine Benachrichtigung, möglichst über den bereits vorhandenen Alarmserver der jeweiligen stationären Einrichtung.
Im Rahmen des ETAP-Projekts wird die Einführung der Technologie aktuell in der Praxis erprobt. Neben Einrichtungen mit aktiver Sensornutzung gehören auch Kontrollgruppen ohne technische Unterstützung zum Studiendesign. Ziel ist es, belastbare Erkenntnisse über Nutzen, Akzeptanz und Alltagstauglichkeit zu gewinnen..
Nach Aussage von Projektkoordinatorin Jenny Wielga fallen die ersten Rückmeldungen differenziert aus. Während einige Pflegefachpersonen die potenzielle Entlastung durch die Technik begrüßen, gibt es auch Vorbehalte – etwa hinsichtlich des Datenschutzes oder wahrgenommener Überwachung. Technisch stellte sich insbesondere die Anbindung an bestehende Infrastrukturen als herausfordernd heraus, so Wielga. „Unterschiede bei WLAN-Verfügbarkeit, Alarmservern und Stromanschlüssen verdeutlichen, wie heterogen die Voraussetzungen in Pflegeeinrichtungen sein können.“
Neben der reinen Sensorfunktion wird im Projekt auch eine weitere KI-Komponente entwickelt. Auf Basis gesammelter Bewegungsdaten sollen individuelle Mobilitätsmuster von pflegebedürftigen Personen analysiert und Fehlalarme langfristig reduziert werden. So ermöglicht diese Technik präzisere Aussagen zu Sturzrisiken. Dazu gehört auch eine Personenerkennung, die das System an individuelle Bewohnerprofile anpassen soll. Erste Tests dieser Funktionen stehen kurz bevor.
Eine Herausforderung bleibt jedoch: Da Stürze in den beiden am Projekt teilnehmenden Pflegeeinrichtungen bisher - zum Glück für die Bewohnerinnen und Bewohner – selten waren, ist die Datenbasis für KI-Training begrenzt. Dennoch berichten Pflegefachpersonen bereits von positiven Effekten – etwa durch die Möglichkeit, Bewegungsverhalten besser einschätzen und so gezielter reagieren zu können.
Die kontinuierliche, wissenschaftliche Begleitung im ETAP-Projekt liefert Einblicke in die Perspektiven des Pflegefachpersonals: Gute Kommunikation ist zentral, um Akzeptanz zu fördern und realistische Erwartungen zu schaffen. „Wir müssen transparent sein, die Pflegefachpersonen einbeziehen und ihnen aufzeigen, wie die Technik sie unterstützen kann", betont Jenny Wielga. Die Bereitschaft zur Mitwirkung sei hoch – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen und die Beteiligten fühlen sich ernst genommen.
Am 24. Juni um 11 Uhr berichtet Jenny Wielga (IAT) über erste Ergebnisse aus dem Projekt ETAP in einem Praxisdialog. Seien Sie dabei, wenn es um Forschung und Entwicklung zu KI-Technologien im Bereich Pflege geht.
Das Projekt befindet sich derzeit in der Verlängerungsphase. Ziel ist es, Handlungsempfehlungen für die Einführung digitaler Technologien in der Pflege abzuleiten. Im Fokus stehen dabei vor allem infrastrukturelle Voraussetzungen, personelle Ressourcen sowie Aspekte der internen Kommunikation und Projektplanung.