Im Gespräch mit Professorin Stefanie Hiestand von der Pädagogischen Hochschule Freiburg und Mitgestalterin von SeLeP 2.0.
Aus den Ergebnissen des Forschungsprojektes SeLeP 1.0, welches unter der Leitung von Prof. Dr. Karin Schlögl-Flierl und Prof. Dr. Werner Schneider (Universität Augsburg) durchgeführt wurde, haben die Teams der PH Freiburg und der Universität Augsburg gemeinsam ein Schulungskonzept zum selbstbestimmten Leben in Pflegeeinrichtungen entwickelt und erprobt. Nun gibt es für diese Schulung auch Train-the-Trainer Schulungen. Diese werden aktuell mit nächsten Kursen ab März 2025 fortgesetzt.
Pflegenetzwerk Deutschland (PND): Was ist die Idee hinter SeLeP und den damit verbundenen Schulungen?
Prof. Stefanie Hiestand: Hinter dem Akronym verbergen sich die Worte Selbstbestimmtes Leben im Pflegeheim und das ist auch schon die Idee von SeLeP. Wir alle erwarten, egal ob wir selbst einmal in einer Pflegeeinrichtung wohnen werden oder Angehörige von uns dort leben, eine sorgfältig durchgeführte Pflege, die sich an den persönlichen, individuellen Bedürfnissen orientiert. Wir erwarten Teilhabe und Selbstbestimmung. Der tatsächlich realisierte Grad an Selbstbestimmung in der pflegerischen Versorgung ist jedoch äußerst heterogen sowie personen- und einrichtungsabhängig.
PND: Was heißt das genau?
Prof. Stefanie Hiestand: Es braucht bestimmte Rahmenbedingungen für Selbstbestimmung in der stationären Langzeitpflege: Pflegebedürftige zum Beispiel benötigen Gestaltungsräume, um selbst entscheiden und handeln zu können – je nach ihren physischen und psychischen Möglichkeiten, nach Bedarfen, Bedürfnissen und Wünschen, denkt man allein an die Aufsteh- und Essenszeiten.
Im gleichen Zug benötigt auch z. B. das Pflege- und Betreuungspersonal flexible Handlungs- und Entscheidungsspielräume, um Selbstbestimmung ermöglichen zu können – u. a. zur individuellen Gestaltung des Tagesablaufs oder der Pflegeroutine. Allerdings muss man alles realistisch betrachten. Hohe Arbeitsdichte, Zeitdruck, nicht hinterfragte Regeln und Routinen oder starre Vorschriften schränken den wichtigen Spielraum oft ein. Aber es gilt genau zu entdecken, wie man in den Bedingungen Möglichkeiten erobert. Und ich kann garantieren: es geht!
PND: Klappt SeLeP denn dann in allen Einrichtungen gleichermaßen?
Prof. Stefanie Hiestand: Es funktioniert keine „One-fits-all-Lösung“. So kann eine undifferenzierte Forderung nach Autonomie mitunter einer Überforderung einzelner Bewohnender gleichkommen. Das Bedürfnis und das Verständnis von Selbstbestimmung sind immer individuell geprägt. Zu beachten und zu respektieren ist auch, dass einige zu Pflegende wünschen, dass ihnen Entscheidungen abgenommen werden, was andere vielleicht kategorisch ablehnen.
PND: Dann schließen sich weitere Fragen an: Wie lässt sich nun eine solche Balance finden? Wie kann Selbstbestimmung gefördert werden? Was braucht es dazu?
Prof. Stefanie Hiestand: Das sind genau die Fragen, die in der SeLeP-Schulung bearbeitet werden. Das Besondere dabei ist, dass sich die Schulung an alle Zielgruppen richtet, die in Pflegeeinrichtungen zusammenkommen, entweder weil sie dort leben, in den verschiedenen Professionen arbeiten oder sich als Angehörige bzw. Bezugspersonen oder als ehrenamtliche Begleiterinnen und Begleiter um dort lebende Bewohnende kümmern. Die SeLeP-Schulung besteht aus analogen und digitalen Inhalten, zusammengestellt in einer Lernbegleiterin „CareIna“ (Lernbuch), die in Selbstlernphasen allein und/oder auch im Tandem sowie im gemeinsamen Austausch in Workshops bearbeitet werden.
Damit die SeLeP-Schulung erfolgreich umgesetzt werden kann, braucht es dazu jedoch geeignete Trainerinnen und Trainer. Darum freut es uns sehr, dass sich das BMG dazu entschieden hat, eine Train-the-Trainer-Schulung anzubieten und SeLeP-Trainerinnen und -trainer auszubilden.
Wie kann ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben im Pflegeheim ermöglicht werden? Erfahren Sie mehr im Praxisdialog am 11. November 2024 um 15 Uhr mit Projektleiterin Prof. Dr. Stefanie Hiestand von der Pädagogischen Hochschule Freiburg stattfindet. Sie stellt die Ergebnisse des Projekts und Erfahrungen aus den ersten Testläufen der Schulungen vor. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!
PND: An wen richtet sich diese Train-the-Trainer-Schulung und welche Erfahrungen haben Sie bisher dazu gesammelt?
Prof. Stefanie Hiestand: Die Zielgruppe besteht aus allen Beschäftigten, die die SeLeP-Schulung in stationären Pflegeeinrichtungen durchführen möchten, sollen, dürfen und können. Bisher haben an der Train-the-Trainer-Schulung Beschäftigte in sogenannten Schlüsselpositionen teilgenommen – wie zum Beispiel aus den Bereichen der Personalentwicklung, des Diversity- und Qualitätsmanagements sowie Praxisanleiterinnen und Praxisanleiter und Akademiemitarbeiterinnen und -mitarbeiter.
Wir haben die Train-The-Trainer Schulung bisher einmal durchgeführt und konnten gute Erfahrungen damit sammeln. Besonders freut uns, dass fast alle Teilnehmenden die SeLeP-Schulung eigenständig in ihrer Einrichtung mit großem Erfolg durchführen konnten. Es hat sich gezeigt, dass es hilfreich ist, wenn an der Train-the-Trainer-Schulung Tandems aus einer Einrichtung teilnehmen und diese dann auch gemeinsam die SeLeP-Schulung durchführen.
PND: Können Sie uns bitte noch zum Abschluss drei Gründe nennen, weshalb es sich unbedingt lohnt, an der Train-the-Trainer-Schulung teilzunehmen?
Prof. Stefanie Hiestand: Erstens: Das SeLeP Konzept ist praxistauglich und nachhaltig!
Zum einen kommen die angehenden Trainerinnen und Trainer aus der Praxis und erlernen ein Schulungskonzept, mit dem sie ihre Pflegeeinrichtung situationsspezifisch unterstützen können. Zum anderen werden alle Akteure einbezogen – zu Pflegende, Pflegekräfte, Angehörige, Ehrenamtliche, Führungskräfte – und dadurch werden die gefunden Lösungen auch tatsächlich im Arbeitsalltag gelebt und umgesetzt. Es wird nicht „von oben“ vorgegeben, sondern partizipativ und im Dialog erarbeitet.
Zweitens: Der SeLeP-Ansatz verfolgt sogenannte kleine Ethiken des Alltags, d. h., durch kleine Veränderungen in der Routine und im Miteinander können Möglichkeiten für mehr Selbstbestimmung für Bewohnerinnen und Bewohner und Pflegekräfte gefunden werden. Es braucht dazu nicht immer umfassende und teure Change-Maßnahmen; viele kleine Veränderungen können zu einem wahrnehmbaren Kulturwandel führen.
Und drittens: Dieses Konzept ist anspruchsvoll, aber leicht erlernbar. Es ist effektiv und alle Beteiligten spürt die positive Entwicklung sehr schnell. SeLeP ist ein wertvolles Gemeinschaftserleben mit Menschen und für Menschen – und es hat bisher allen immer viel gebracht und Spaß gemacht!
Das PND dankt Frau Prof. Stefanie Hiestand herzlich für das Gespräch – und wünscht weiterhin viel Erfolg.