Pflegeverständnis nach dem Pflegebedürftigkeitsbegriff

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Definition

Stand: 16. November 2021

Zum 1. Januar 2017 wurden der Pflegebedürftigkeitsbegriff und das Begutachtungsinstrument zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit neu definiert und gesetzlich verankert. Grundlage ist ein pflegewissenschaftlich fundiertes Verständnis von Pflegebedürftigkeit – mit dem ein Perspektivwechsel von der bisherigen defizitbezogenen Sicht auf den zu pflegenden Menschen in der Pflegeversicherung hin zu einer ressourcenorientierten Sichtweise verbunden ist. Das bedeutet: Der pflegebedürftige Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen und Bedarfen steht im Mittelpunkt und soll dabei unterstützt werden, ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen.

Die wissenschaftliche Evaluation der Einführungsphase hat gezeigt, dass die Systemumstellung auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, das neue Begutachtungsinstrument und das neue Leistungsrecht gut funktioniert hat.

Durch den Pflegebedürftigkeitsbegriff von 2017 haben sich nicht nur das Begutachtungsinstrument und der Leistungszugang geändert. Beeinflusst wird dadurch auch das Verständnis von Pflege: Es richtet sich stärker darauf aus, die Selbständigkeit der Pflegebedürftigen möglichst lange zu erhalten und zu fördern.

Dies hat bereits der Beirat zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nach § 18c SGB XI festgestellt, der in den Jahren 2017 bis 2019 die Umsetzung der neuen Regelungen in die Praxis begleitete. 2017 ließ er außerdem eine Expertise „Strukturierung und Beschreibung pflegerischer Aufgaben auf der Grundlage des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs“ erarbeiten. Der Beirat erklärte dazu in einem einleitenden Text (sog. „Präambel“), dass diese Expertise als geeignete fachliche Grundlage für ein gemeinsames Verständnis von Pflege anzusehen sei und empfahl, sie für die Anpassung und Weiterentwicklung von fachlichen Konzepten und Vereinbarungen in der Pflege zu nutzen. Der Beirat nannte sieben Themenfelder, die zwar unterschiedliche Verantwortungsbereiche aufgreifen und unterschiedliche Akteure adressieren, aber in ihrer inhaltlichen Zielsetzung aufeinander bezogen sind.

So werden wesentliche Voraussetzungen geschaffen, damit beruflich Pflegende die pflegerischen Aufgaben entsprechend dem beruflichen Selbstverständnis und den in der Pflegeausbildung erworbenen Kompetenzen im Sinne des umfassenden Pflegeverständnisses wahrnehmen können. Gleichzeitig sind pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen über das aus dem Pflegeverständnis abgeleitete Leistungsangebot informiert. Damit das an den Bedürfnissen und Bedarfslagen pflegebedürftiger Menschen orientierte Pflegeverständnis in der Praxis besser umgesetzt werden kann, sind alle Bereiche der Pflege aufgefordert, im Rahmen ihrer Verantwortung hierzu ihren Beitrag zu leisten. Die praktische Umsetzung dieser Impulse des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs in den stationären Einrichtungen und ambulanten Pflegediensten erfordert gleichwohl Zeit und verlangt vielfach auch ein Anpassen bisheriger fachlicher Handlungsmuster.

Ausgehend von der Expertise und dem in der Präambel skizzierten Rahmen zur Umsetzung hatte der Beirat zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs daher eine Arbeitsgruppe „Strukturierung und Beschreibung pflegerischer Aufgaben“ beauftragt, eine „Roadmap zur weiteren Umsetzung des Pflegeverständnisses in der Praxis“ zu erarbeiten.

Als erste Grundlage wurde Ende 2019 der Leitfaden „Das Pflegeverständnis in der Praxis“ aus dem Evaluierungsprozess entwickelt und veröffentlicht: Ein praxisorientierter Text, der sich an stationäre Pflegeeinrichtungen, Pflegedienste und die dort arbeitenden Pflegekräfte richtet – im Sinne einer Handreichung zum besseren Verständnis und zur Unterstützung bei der Implementierung des neuen Pflegeverständnisses.

Insbesondere die Partner der Konzertierten Aktion Pflege griffen den Impuls des Beirats auf und vereinbarten eine Implementierungsstrategie, um das wissenschaftlich fundierte Verständnis von Pflege in den sieben Themenfeldern der Roadmap voranzutreiben.

Ein zentraler Baustein ist dabei für die ambulante Pflege die konzeptionelle Überarbeitung der Landesrahmenverträge nach § 75 SGB XI. Eine Expertengruppe „Vertragsgestaltung in der Pflege auf Grundlage des seit 2017 geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs“ erarbeitete hierzu „Empfehlungen für die Landesrahmenvertragspartner zur Umsetzung des § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB XI“. Der konzeptionelle Vorschlag der Expertengruppe greift ausdrücklich das Pflegeverständnis des heutigen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und den damit seit 2017 einhergehenden Perspektivwechsel auf, nach dem sich pflegerische Aufgaben stärker an eine ressourcenorientierte Sichtweise anlehnen. In dem Vorschlag wird das Augenmerk auf pflegerische Aufgaben gerichtet, die bei der Unterstützung der pflegebedürftigen Menschen und ihrer An- und Zugehörigen flexibel an deren Bedürfnissen sowie an aktuellen Problem- und Bedarfslagen auszurichten sind.