Das Projekt KoWeP

Pflege stellt eine wichtige Säule der Gesundheitsversorgung dar, das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie deutlich gezeigt. Pflegerinnen und Pfleger sind gut ausgebildete, kompetente Fachkräfte, die in einem hochkomplexen Arbeitsumfeld tätig sind. Mit ihrer Fachkompetenz, ihrer Professionalität, aber auch ihrem Einsatz und ihrer Leidenschaft für den Beruf spielen sie eine zentrale Rolle bei der hochwertigen Versorgung von Pflegebedürftigen und Kranken (Martin, Haab, 2023).

Allerdings klaffen die gesellschaftliche Bedeutung des Pflegeberufs und die öffentliche Wertschätzung zum Teil deutlich auseinander. Nach Haab und Martin ist ein Grund dafür, dass Pflegekräfte – trotz der vorhandenen Expertise – häufig dazu neigen, Fachbegriffe zu vermeiden und diese in Alltagssprache zu übersetzen. Diese Simplifizierung hat sich in der direkten Kommunikation mit Pflegebedürftigen bewährt, in der Außenwahrnehmung führt sie allerdings dazu, dass Pflege vielfach als einfache Dienstleistungstätigkeit gesehen wird, die lediglich aus der Aneinanderreihung einfacher Handgriffe und Tätigkeiten besteht (Martin, Haab, 2023).

Diese Wahrnehmung wird dem Pflegeberuf allerdings in keinerlei Weise gerecht. Pflege ist vielmehr eine komplexe Arbeitsleistung, die von Fachkräften ausgeführt wird und ein breites Spezial- und Expertenwissen erfordert. Um Pflegekräfte bei ihrer Außendarstellung zu unterstützen und so auch die öffentliche Wertschätzung nachhaltig zu verbessern, fördert das Bundesministerium für Gesundheit das Projekt „Kompetenzkommunikation und Wertschätzung in der Pflege (KoWeP)“. In einem wissenschaftlichen Verbund – Frankfurt University of Applied Sciences, die DIP GmbH (Dienstleistung, Innovation, Pflegeforschung), die Deutsche Angestellten-Akademie und die MA&T Sell & Partner GmbH – wurde auf der Basis eingehender Literaturrecherchen und empirischen Untersuchungen eine Wirkungsanalyse aufgestellt: Wie hängen die Kommunikation der Beschäftigten in der Pflege, die Wahrnehmung von deren Kompetenz und die gesellschaftliche Anerkennung zusammen? Was sind die Ansatzpunkte für Einrichtungen und die Pflegekräfte, die Wertschätzung zu steigern? (Martin, Haab, 2023)

Ziel von KoWeP war die Entwicklung und Erprobung des hier vorliegenden Schulungskonzepts zur Professionalisierung und Verbesserung der Kompetenzkommunikation in der Pflege, um so das hohe Anspruchsniveau und die Komplexität von Pflegearbeit sichtbar zu machen. Indem Pflegekräfte lernen, ihre Expertise und den Wert ihrer Tätigkeit angemessen darzustellen, können sie selbst auf die gesellschaftliche Wahrnehmung ihrer Profession einwirken, denn eine gelungene Kompetenzkommunikation führt zu einer gesteigerten Wertschätzung durch Dritte. Gleichzeitig kann sich aus der intensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun ein gesteigertes Selbstwertgefühl entwickeln. In Verbindung mit den verbesserten kommunikativen Fähigkeiten werden Pflegekräfte so besser in die Lage versetzt, sich selbstbewusst am öffentlichen (Pflege-)Diskurs zu beteiligen und ihre beruflichen Interessen eigenständig zu vertreten (Martin, Haab, 2023).

Die Grundüberlegungen des Projektes KoWeP

Was tun Pflegekräfte eigentlich, wenn Sie Menschen pflegen? Die Mehrheit der Bevölkerung wird darauf sehr schnell mit den Tätigkeiten antworten, bei denen man die Pflegekräfte beobachten kann: Betten machen, Essen verteilen, bei der Körperpflege und in der Mobilität unterstützen usw. Die meisten dieser Tätigkeiten sind alltagsnahe Handlungen, wie sie jeder aus der Familie und dem eigenen Leben kennt. Ist ein Familienmitglied krank, kümmern sich die anderen um die Person und unterstützen überall dort, wo Hilfe gebraucht wird. Es verwundert daher wenig, dass viele Menschen glauben, „Pflegen kann jede*r“, sind doch die zu beobachtenden Tätigkeiten jedem vertraut. Dieser Umstand hat jedoch negative Auswirkungen auf das Bild des Pflegeberufes in der Öffentlichkeit und es stellt sich die Frage, ob sich eine anspruchsvolle Ausbildung dahinter verbirgt (Müller, Isfort, Fuchs-Frohnhofen, Ciesinger, 2023).

Darüber hinaus agieren Pflegekräfte in einem Lebensbereich, mit dem sich gesunde Menschen nur ungern auseinandersetzen: Krankheit, Leiden, Einschränkung bis hin zum Sterben. Im Alltag ist es viel angenehmer, nicht daran zu denken, dass es sein könnte, dass man selbst sehr schnell professionelle pflegerische Unterstützung in Anspruch nehmen muss. Vielen Menschen ist die drohende Abhängigkeit von pflegerischer Unterstützung unangenehm, peinlich und schambesetzt und sie können sich nicht vorstellen, selbst Menschen in solchen Situationen zu begleiten. Folglich ist oft die Aussage zu hören: „Pflegen? Das könnte ich nicht!“ (Müller, Isfort, Fuchs-Frohnhofen, Ciesinger, 2023).

Berufliche Pflege bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen einem hohen gesellschaftlichen Ansehen für die Berufszugehörigkeit insgesamt, einer Unattraktivität der Tätigkeit für den Einzelnen sowie einer geringen Kompetenzzuschreibung. Ein Ansatzpunkt, das Trilemma des Pflegeberufs zu bearbeiten, liegt in einer stärkeren gesellschaftlichen Bewusstmachung dessen, was diesen Beruf ausmacht. Es sollte deutlich werden, welches hohe Kompetenzniveau erforderlich ist, um Verantwortung in der Betreuung von kranken Menschen zu übernehmen, wie sich professionelle Pflege von Laienpflege unterscheidet und was der eigentliche Kern des Pflegeberufes ist. Hier setzt das Projekt KoWeP an. Im Sinne der Redewendung „Tue Gutes und rede darüber!“ fordert KoWeP „Arbeite gut und rede darüber!“.

Das Projekt folgt der Überzeugung, dass die Art und Weise, wie Pflegekräfte über ihre Arbeit und das, was sie dabei tun, sprechen, die gesellschaftliche Wahrnehmung des Berufes prägt. Wenn mehr Menschen bewusst wird, was Pflegekräfte wirklich leisten und was sie dafür wissen müssen, wird die soziale Anerkennung und Wertschätzung des Berufes steigen. Eine stärkere Anerkennung und Wertschätzung lässt Pflegekräfte wieder mehr stolz sein auf ihren Beruf und ihre Arbeit, was wiederum die Art und Weise, wie sie über ihren Beruf sprechen, positiv beeinflussen dürfte. Wenn mehr Menschen, vor allem auch politische Entscheidungsträger, erkennen, welchen Beitrag Pflegekräfte zum gesamtgesellschaftlichen Wohlergehen leisten, könnten Mittel so verteilt werden, dass sich auch die Rahmenbedingungen pflegerischer Arbeit verbessern (Müller, Isfort, Fuchs-Frohnhofen, Ciesinger, 2023).

Der Mensch wird als Mittelpunkt pflegeberuflichen Handelns gewertet, nicht die Tätigkeit oder Verrichtung. Das bestätigt auch die Auswertung der erhobenen Daten, wie sie in den folgenden Modulen vorgestellt werden. Zentral sind hier Konzepte der Interaktions- und Beziehungsarbeit mit dem Ziel, Selbstbestimmung und Lebensqualität trotz gesundheitsbedingter Einschränkungen zu erreichen bzw. zu erhalten. Die Pflegepersonen sehen eine wichtige Aufgabe darin, all das, was ein Mensch in der aktuellen Situation nicht allein bewältigen kann, zu kompensieren, um ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere auch, die Gesundheitskompetenz der gepflegten Menschen zu fördern, indem krankheitsbezogene Informationen, die z.B. von Ärzt*innen gegeben werden, von der medizinischen Fachsprache in eine alltagsnahe, verständliche Sprache übersetzt werden. Weiterhin müssen pflegerische Interventionen gegenüber den zu pflegenden Menschen in einer Art und Weise kommuniziert werden, dass diese für sie möglichst wenig peinlich sind bzw. Schamgefühle auslösen. Hierfür gilt es, eine vereinfachende Sprache zu verwenden, welche die pflegerische Handlung möglichst unbedeutend darstellt, was die dafür notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen schwer wahrnehmbar werden lässt. Außenstehende könnten den Eindruck bekommen, pflegerische Arbeit sei banal und brauche keine anspruchsvolle Qualifizierung (Müller, Isfort, Fuchs-Frohnhofen, Ciesinger, 2023).

Pflegepersonen verfügen im Beruf also über mindestens drei Sprachregister: medizinisch-pflegerische Fachsprache, medizinisch-pflegerische Alltagssprache, vereinfachende, trivialisierende Alltagssprache. Entscheidend für die Kompetenzwahrnehmung durch Außenstehende dürfte dabei sein, welches Sprachregister die Pflegepersonen dabei verwenden. Kommen die Sprachregister zum Einsatz, die in der Kommunikation mit zu pflegenden Menschen angewendet werden, wird es für die Zuhörenden schwer sein, die hinter den Beschreibungen liegenden Kompetenzen zu erkennen (Müller, Isfort, Fuchs-Frohnhofen, Ciesinger, 2023).

Für das Projekt KoWeP liegt hier der Ansatzpunkt für diese Schulung. Es soll aufgezeigt werden, dass hier jeweils andere Sprachregister zum Einsatz kommen sollten, um mit der jeweiligen Adressat*innengruppe angemessen kommunizieren zu können. Wenn Pflegende in der Öffentlichkeit über ihren Beruf sprechen, verwenden sie ein anderes, abstrakteres Sprachregister, als wenn sie direkt mit den zu pflegenden Menschen oder Kolleg*innen sprechen (Müller, Isfort, Fuchs-Frohnhofen, Ciesinger, 2023).

Neben der Bewusstmachung dieses Umstandes und der Zusammenhänge geht es in dieser Schulung darum, das eigene nach außen gerichtete Sprachregister weiterzuentwickeln. Aufbauend auf einer Sensibilisierung für die eigenen Kompetenzen soll das berufliche Selbstbewusstsein so gestärkt werden, dass nach einer Weiterentwicklung des eigenen Sprachregisters aktiv mit unterschiedlichen Zielgruppen wie Freund*innen und Bekannten, Journalist*innen, Kolleg*innen und zu pflegenden Menschen über pflegeberufliches Handeln gesprochen werden kann (Müller, Isfort, Fuchs-Frohnhofen, Ciesinger, 2023).

Über den Aufbau bzw. die Weiterentwicklung eines kompetenzorientierten Sprachregisters soll es langfristig in der Pflege möglich werden, „gut zu arbeiten“ und „so darüber zu sprechen“, dass für Außenstehende wahrnehmbar wird, wie anspruchsvoll und verantwortungsreich die pflegerische Berufstätigkeit tatsächlich ist. Aus „Pflegen kann jede*r“ wird „Um pflegen zu können, braucht es eine anspruchsvolle, differenzierte Ausbildung“; aus „Pflegen, das könnte ich nicht“ wird „Pflegen – das würde ich auch gerne können“ (Müller, Isfort, Fuchs-Frohnhofen, Ciesinger, 2023).