Auf die richtige Sprache kommt es an!

Was unterscheidet Sprachregister von Sprachstil?

Die Art und Weise des Sprechens an die Kommunikationssituation und den*die Gesprächspartner*in auszurichten ist zentral für eine professionelle und kompetenzorientierte Kommunikation in und über Pflege.

Die Soziolinguistik als eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft untersucht soziale Einflussfaktoren auf die Sprache und unterscheidet dabei zwei Begriffe: „Sprachstil“ und „Sprachregister“. Alltagssprachlich werden beide mitunter synonym verwendet, sie drücken jedoch Unterschiedliches aus. Mit Sprachstil werden Unterschiede in der Verwendung der Sprache von verschiedenen Menschen (sozialen Gruppen) bezeichnet, z.B. unterscheidet sich die Sprache bzw. der Sprachstil von Akademiker*innen und Handwerker*innen. Der Begriff Sprachregister wird dafür verwendet, dass Menschen in unterschiedlichen Situationen und Funktionen sowie mit verschiedenen Personen unterschiedlich sprechen. So unterscheidet sich die Sprache von Professor*innen, je nachdem ob sie einen Fachvortrag oder eine Vorlesung für Kinder hält. Auch Handwerker*innen reden, wenn sie sich fachlich untereinander austauschen, anders als in einem Gespräch mit Kund*innen (Spitzmüller, 2022).

Auch wir verwenden im Alltag (bewusst oder unbewusst) verschiedene Varianten des Deutschen, d.h. unterschiedliche sprachliche Register, z.B. im Gespräch mit Freund*innen, Vorgesetzen, Fremden, Kindern, per Chat oder in einem Brief bzw. formellen Dokument. Diese Verwendung unterschiedlicher sprachlicher Register kann man mit der Verwendung unterschiedlicher Arten von Kleidung vergleichen, die uns für verschiedene Situationen im Leben zur Verfügung stehen. Zu einer Trauerfeier wählen wir dem Anlass entsprechend schwarze und geschlossene Kleidung aus. Zur Gartenparty tragen wir Freizeitkleidung und im Fußballstadion als Fan ein Vereinsshirt.

Sprachregister sind also Sprech- oder Schreibweisen, die für einen bestimmten Kommunikationsbereich angemessen sind. Damit wird eine Form des Sprachhandelns zum Ausdruck gebracht, die durch eine bestimmte Kommunikationssituation vorgegeben und damit auch erwartbar ist.

 

Zentrale Einflussfaktoren auf die Art der Versprachlichung

Sprecher*innen setzen, je nach Situation, ein jeweils anderes sprachliches Register ein. Das schließt Ort, Zeit, besondere Umstände und anwesende Kommunikationspartner*innen mit ein.

Im Chat zu Freunden schreibt man „Hey was geht ab heute?“. Hingegen wird im beruflichen Umfeld die offizielle bzw. förmliche Nachfrage gewählt „Guten Tag Frau Meier, welche Aufgaben stehen morgen an?“. Bei einer Betriebsfeier sagt man vielleicht beim Anstoßen unter Kolleg*innen: „Hau ́ weg das Zeug!“, kommt der bzw. die Geschäftsführer*in hinzu, wird man eher sagen: „Auf Ihr Wohl!“

Sprachregister sind Variationen der Sprache, die an die Funktion und Situation eines Gesprächs sowie den*die Gesprächspartner*in angepasst sind.

Die Berücksichtig des Wissens und des dazugehörenden Wortschatzes wird besonders bei der Verwendung von Fachbegriffen deutlich. Für Gespräche zwischen Fachleuten wird auf das Fachsprachenregister zurückgegriffen, das sich vom alltagssprachlichen Register vor allem durch die Verwendung spezifisch definierter Begriffe eines Fachgebietes unterscheidet. In Berichten und Dokumentationen werden Fachbegriffe verwendet, wie z.B. Adipositas, Dekubitus oder Inkontinenz. Wenn Pflegekräfte Patient*innen oder Angehörigen pflegerische Maßnahmen erläutern, wird hingegen z.B. Dekubitus durch Druckgeschwür und Adipositas durch Übergewicht ersetzt – also auf das Register der Alltagssprache zurückgegriffen.
 
Bei der Verwendung von Sprachregistern werden geltende Sprachnormen in einem Kommunikationsbereich oder in einer -situation berücksichtigt. Für den informellen Austausch wird neben privater Alltagssprache häufig Umgangssprache genutzt. Der Einsatz von Umgangssprache im formellen Rahmen ist hingegen eher unpassend. Im Kontakt mit Pflegebedürftigen und Angehörigen ist eine formelle Alltagssprache angebracht, bei der auf eine höfliche Ausdrucksweise (korrekte Anrede, Fragen und Bitten statt befehlsartiger Aufforderungen), den Gebrauch alltäglicher Wörter sowie korrekte Grammatik und Satzaufbau Wert gelegt wird. Durch die Berücksichtigung dieser Aspekte unterscheidet sich die Alltagssprache graduell im beruflichen und privaten Umfeld.
 
Mit ein und denselben Personen reden wir situationsabhängig unterschiedlich. Im Pausenraum überwiegt die umgangssprachliche Ausdrucksweise. Hingegen wird bei der Übergabe vielfach die pflegerische Umgangssprache (Pflegejargon) genutzt und bei der Visite im Beisein der Pflegedienstleitung auch auf das fachsprachliche Register zurückgegriffen.

 

Im Praxisteil gibt eine Übung zu den W-Fragen der Kommunikation bezogen auf die Pflege sowie eine Übung zur Praxisübertragung zu den Einflussfaktoren auf den Einsatz von Sprachregistern.

Es wurde im Text bereits auf verschiedene Sprachregister Bezug genommen, die jetzt näher erläutert werden.

Merkmale von Sprachregistern

Es werden drei Hauptregisterformen unterschieden. Alltagssprache, Umgangssprache und Fachsprache. Dabei handelt es sich um Oberbegriffe, die verschiedene Varianten oder Unterregister enthalten (Glück & Rödel, 2016).

Das Register Alltagssprache ist ein Oberbegriff für eine Reihe von Varianten der Standardsprache, die das Grundgerüst aller Sprachregister darstellt. Standardsprache wird in der Schule vermittelt sowie in Bildungskontexten und bei öffentlichen Darstellungen verwendet. Trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheidet sich die Alltagssprache im privaten und beruflichen Umfeld. Je weniger persönlich die Beziehung ist, desto förmlicher ist die Alltagssprache.

Alltagssprache wird für alltägliche Zwecke in der mündlichen Kommunikation (Smalltalk, Einkaufen, Unterhaltungen) und in der schriftlichen Kommunikation (Mails, SMS, Chats, Postkarten und Briefe) genutzt. Die erforderlichen Sprachkompetenzen werden in der Regel im natürlichen Spracherwerbsprozess ohne besondere Instruktion erworben. Alltagssprache ist kontextgebunden und richtet sich an eine konkrete Person.  Es werden einfache, zum Teil unvollständige Sätze sowie oft Füllwörter und Adverbien wie z. B. hier, da oder dort verwendet. Es kommen Gedankensprünge und Wiederholungen sowie auch grammatikalische Fehler vor. Bei der mündlichen und schriftlichen Alltagssprache im beruflichen Umfeld wird mehr Wert auf eine gepflegte Ausdrucksweise, strukturierte und korrekte Sprach- und Schreibweise gesetzt.

Mitunter erfolgt keine Abgrenzung zwischen Alltag- und Umgangssprache und beide werden synonym verwendet. Umgangssprache wird im wortwörtlichen Sinne als die Sprache bezeichnet, mit der man sich im Umgang miteinander normalerweise verständigt. In der anderen Lesart wird der Begriff Umgangssprache als eine besondere Sprachvarietät der Standardsprache verwendet, um die spezifischen sprachlichen Muster von Alltagssprache zu verschiedenen Zeiten, von verschiedenen Generationen (z.B. Jugendsprache) oder von Berufsgruppen hervorzuheben. Mit Umgangssprache wird also eine spezifische Sprache sozialer Gruppen verstanden. Es gibt nicht nur bei Jugendlichen eine Umgangssprache, sondern auch Pflegekräfte verwenden eine pflegerische Umgangssprache (Pflegejargon), wenn sie sich über Situationen und Personen in der Pflege intern austauschen. Dann wird nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und eine mehr oder wenige lockere oder mitunter auch derbe Ausdrucksweise praktiziert, z.B. wenn unerfreuliche Erlebnisse und Erfahrungen mit Pflegebedürftigen, Auszubildenden oder Kollegen*innen Gesprächsgegenstand sind.

Das umgangssprachliche Register wird für den informellen Austausch eingesetzt bzw. ist dafür angemessen. Es kann auch als „Sprache der Nähe“ bezeichnet werden. Dabei können sich die Gesprächspartner*innen – wie im Beispiel des face-to-face-Gesprächs – physisch nah sein. Das Merkmal „Nähe“ kann sich aber auch darauf beziehen, dass sich die Gesprächspartner*innen zwar nicht physisch nah sind, wie z.B. beim Chatten, aber auf der Beziehungsebene nahestehen. Zudem drückt das Merkmal „Nähe“ aus, dass die Gesprächspartner*innen durch den gemeinsamen Umgang über geteilte Erfahrungen verfügen und das Verständnis von bestimmten Ausdrücken vorausgesetzt werden kann. Die Kommunikation verläuft in der Regel dialogisch, die Kommunikationspartner*innen sprechen abwechselnd. Sie ist spontan und prozesshaft, ein unstrukturierter Ablauf und thematische Sprünge kommen häufig vor. Es wird weniger auf die grammatikalisch korrekte Ausdruckweise geachtet. Auslassungen, Satzabbrüche, spontane Selbstkorrekturen und Ergänzungen sind typisch, ebenso wie der verstärkte Einsatz von Betonung, Gestik und Mimik. Hören Außenstehende, die das spezifische, umgangssprachliche Register nicht kennen mit, sind solche informellen Gespräche für diese nur schwer in der richtigen Weise nachvollziehbar.

Unter Fachsprache sind Sprachregister zu verstehen, die für berufliche und eher formelle Zwecke genutzt werden (Vorlesungen, Fachbücher, Fachdokumentationen, fachlicher Austausch). Fachsprachregister nutzen ein spezifisches Vokabular (Fachtermini), präzise und eindeutige sowie grammatikalisch korrekte Formulierungen und einen komplexen Satzbau. Die Kommunikation ist geplant und strukturiert und umfasst eine hohe Informationsdichte. Die Beschreibung als „Sprache der Distanz“ bringt den hohen Stellenwert von Objektivität, Sachlichkeit, Abstraktion und Allgemeingültigkeit zum Ausdruck. Fachsprachen erfordern weiterführende Sprachkompetenzen, die in den jeweiligen Bildungsinstitutionen vermittelt und geübt werden müssen.

Auch das Fachsprachenregister ist ein Oberbegriff mit verschiedenen Unterregistern. Neben allgemeinen Merkmalen, die Fachsprachenregister aufweisen, gibt es fachspezifische Unterschiede. Dies ist einleuchtend, denn naturwissenschaftliche Fachsprachenregister und Sprachregister von Sozial- und Gesundheitsberufen weisen grundlegende Unterschiede auf. Und auch innerhalb von Sozial- und Gesundheitsberufen gibt es verschiedene Variationen. Die Bedeutung gängiger pflegerischer Fachbegriffe, die Pflegefachkräften in Pflegedokumentationen im Zuge der Pflegediagnose oder bei Pflegevisiten geläufig sind, können in der intradisziplinären Kommunikation nicht immer vorausgesetzt werden. Hinzu kommt, dass einige Fachbegriffe in unterschiedlichen Fachgebieten etwas Unterschiedliches bedeuten. Die neue Hausärztin weiß vom Grundsatz zwar, was Anamnese oder Visite bedeutet, aber was alles zu einer Pflegeanamnese bzw. Pflegevisite gehört, ist ihr wahrscheinlich nicht bekannt, wenn sie vorher nicht in Pflegeeinrichtungen gearbeitet hat.

 

In der folgenden Abbildung sind Unterscheidungsmerkmale von Sprachregisterformen nochmals aufgeführt und die Stärke der Merkmalsausprägung bei der Alltags- und Umgangssprache im privaten und beruflichen Umfeld dargestellt.

 

Vermischung der Sprachregister in der Praxis

Die Unterscheidung von verschiedenen Registerformen: Umgangssprache, Alltagssprache und Fachsprache suggerieren eine Abgrenzbarkeit der Register, die in der Realität so nicht gegeben ist. Es handelt sich vielmehr um ein Kontinuum zwischen zwei Polen. Sowohl die Umgangssprache als Gruppensprache mit einem spezifischen Wortschatz greift auf Wörter der Alltagssprache zurück als auch die Fachsprache. Es gibt in Fachbüchern oder Fachvorträgen keine bloße Aneinanderreihung von Fachbegriffen, sondern es wird auch die Alltagssprache bzw. die schriftliche Standardsprache verwendet.

In der alltäglichen Praxis sind Vermischungen bzw. ein Wechsel der Sprachregister unvermeidlich und notwendig. bzw. sogar spezifischer Ausdruck von professioneller Kommunikationskompetenz. 

Der Wechsel von Sprachregistern ist durch Themenwechsel oder das Erscheinen bzw. die Anwesenheit einer anderen Person begründet. Das kennen Sie vielleicht auch. Wenn Auszubildende oder Pflegekräfte sich untereinander austauschen über Pflegebedürftige und dann konkret die Pflegesituation besprechen, ändert sich die Sprechweise. Kommen Praxisanleiter*in oder Vorgesetze*r hinzu, dann passen die meisten den Sprachgebrauch an und greifen vermehrt auf das fachsprachliche Register zurück.

In Pflegesituationen kommt es vielfach zu Vermischungen der Sprachregister. So werden während der Kommunikation von Expert*innen mittels Fachsprachregister im Beisein von Patient*innen, z.B. von Pflegekräften mit Ärzt*innen während einer Visite, Wörter oder Wortgruppen der Alltagssprache hinzugefügt, damit gesundheitliche Probleme und erforderliche Pflegemaßnahmen verstanden werden. Auch innerhalb einer Gesprächssituation ändert sich in Abhängigkeit des Gesprächsgegenstands die Verwendung von Sprachregistern. Ein Gespräch mit Pflegebedürftigen oder Angehörigen beginnt gewöhnlich mit Smalltalk. Beim Austausch über die aktuelle Befindlichkeit und Erlebnisse wird auf Alltagssprache zurückgegriffen. Werden danach notwendige Veränderungen in der Pflege aufgrund von gesundheitlichen Problemen besprochen, reicht das Vokabular der Alltagssprache oft allein nicht aus. Es wird teilweise auf das fachsprachliche Sprachregister zurückgegriffen und durch alltagssprachliche Übersetzungen ergänzt. Es kommt nicht nur darauf an, dass Pflegekräfte eine*n immobile*n Pflegebedürftige*n in der richtigen Weise umlagern. Die Wahrnehmung ihrer Kompetenz und Wertschätzung steigt, wenn sie in verständlichen Worten begründen, warum eine regelmäßige Umlagerung erforderlich ist und die Schritte bzw. ihre Handlungen ankündigen und freundliche Bitten äußern, statt Kommandos zu erteilen.

Die Verwendung von Fachsprache wird als Zeichen für Expertise in einem bestimmten Bereich gedeutet. Sollten Pflegefachkräfte jetzt vor allem das fachsprachliche Register nutzen, um kompetenter zu erscheinen? Das wäre sowohl bei der Kommunikation in als auch über Pflege wenig zielführend, weil sie dann schlichtweg nicht verstanden werden.

Verschiedene Register – wie das Fachsprachregister – sind nicht besser oder wichtiger als das alltagssprachliche Register. Es geht vielmehr beim Gebrauch von verschiedenen Sprachregistern um eine adressat*innen- und situationsangepasste Kommunikation.

Die große Kunst liegt in der adäquaten und verständlichen Übersetzung der komplexen und anspruchsvollen Prozesse der Pflege. Pflegearbeit umfasst neben den sichtbaren – verrichtungsorientierten Tätigkeiten – viele unsichtbare Aspekte, die für eine professionelle Pflege und gute Pflegequalität erforderlich sind. Pflegekräfte müssen wissen und verstehen, was die Professionalität des Pflegeberufs ausmacht und Professionalitätsmerkmale und pflegerische Kompetenzen, auf denen ihre tagtägliche Arbeit beruht, benennen können. Reproduktion von Wissen in Form von Fachsprache reicht nicht aus. Wirkliches Verstehen ist Voraussetzung, um pflegefachliche Begriffe und Prozesse sprachlich für andere adäquat übersetzen und anhand von Beispielen veranschaulichen zu können. Im Praxisteil gibt hierfür Beispiele und Übungen. 

Komplexitätsreduktion, Anknüpfen an die Erfahrungswelt, beispielhaftes Veranschaulichen und authentische Geschichten sind Stilmittel für eine erfolgreiche Kompetenzkommunikation vor allem in der Außendarstellung.

Komplexitätsreduktion ist die Vereinfachung von vorher vielschichtigen und schwer fassbaren Abläufen, Zusammenhängen oder auch Informationen. Die Sachverhalte werden dabei auf wesentliche Merkmale reduziert, sodass deren Verständlichkeit und Überschaubarkeit gefördert werden, während eine Reizüberflutung vermieden wird.

Schließlich gibt es im Praxisteil Links zu einer Auswahl von Videos zur Darstellung des Pflegeberufs und eine integrierte Online-Umfrage zur Bewertung, ergänzt von Hinweisen des Pflegenetzwerks Deutschlands. Mit den sozialen Medien das Bild der Pflege stärken (Pflegenetzwerk Deutschland, 2021)